Der Traum vom Sommer

Es ist Sommerferienzeit. Wir Erwachsenen, deren Kinder schon gross sind und die wir keine Lehrer sind, müssen während der grossen Schulferien meistens arbeiten. Wir müssen uns ja jetzt endlich nicht mehr mit dem grossen Familienstrom bewegen. Trotzdem greift dieses Ferienfeeling auf uns alle über, so meine ich jedenfalls, denn mir geht es so. Und obwohl ich nicht an einem prallvollen Mittelmeerstrand liege, erfasst mich schon in einer Gartenbeiz diese sommerlich entspannte Haltung, so dass ich selbst beim Schreiben und das ist ja eigentlich Arbeit, das Gefühl habe, in den Ferien zu sein. Ferienarbeiten!

Diese Tage der frühen Sonnenaufgänge und langen Abende, Mittage, die über Feldern und Strassen zu flimmern beginnen und Nächte die uns schlaflos heizen, ich liebe sie, denn sie bedeuten Sommer und lassen mich träumen und mich erinnern.

Sommerphantasien haben viel mit unseren Kindheits- und Jugenderinnerungen zu tun und diese hängt für mich vor allem an diesem einen Urlaub in Südfrankreich. Das waren die ultimativen Ferien für mich. Hitze, Strand, Pinien- und Rosmarinduft, Lammbraten und Ratatouille. Natürlich kratzte ich mit elf die provencalischen Gewürze von meinem Fleisch und hätte lieber einen Teller Nudeln verdrückt als diesen Gemüseeintopf. Doch das Restaurant in einem alten Schafstall blieb mir unauslöschlich in Erinnerung, auch weil „auswärts essen gehen“ etwas wahnsinnig aufregendes und etwas besonderes für uns Kinder war.

Da in La Croix-Valmer habe ich mein erstes Tagebuch geschrieben, weil ich nicht Tag und Nacht am Strand verbringen durfte und mir das Warten auf den ersehnten „Strandgang“ damit verkürzte die Erwachsenen zu beobachten und darüber Buch zu führen. Ich hatte vorher ein Buch über ein Mädchen gelesen, Harriet hiess sie, die in ihrem Tagebuch ihre Gedanken und Beobachtungen verewigte. Das wollte ich jetzt auch tun und träumte schon von einer Autorenkarriere. Ich war sehr verträumt.

Meine Eltern verbrachten gerne Zeit im Garten unseres Ferienhauses, das sie von Verwandten gemietet hatten. In Liegestühlen Bücher lesend genossen sie die südfranzösiche Mittagszeit, manchmal auch den ganzen Morgen, während ich wie auf Nadeln umhertigerte und darauf wartete, dass wir endlich aufbrechen würden. „Stürm nicht immer!“ hiess es und so widmete ich mich wohl oder übel meinen Tagebuchbeobachtungen und wartete bis wir endlich, endlich ans Meer gehen durften. Da verbrachte ich die meiste Zeit im Wasser oder in meinem neuen Gummiboot, auch mal solange bis ich mir einen Sonnenstich holte. Sonne, Meer, südliche Lebensweise und ihre Düfte sind für mich seither der Inbegriff von Ferien.

Momentan liegt auch auf meiner nördlicheren Voralpenlandschaft ein Hauch von Süden. Die hohen Temperaturen haben schon ungeschnittenes Gras getrocknet und vielerorts durchziehen nun goldene Wiesenstreifen das gewohnte Sattgrün der Fettwiesen. Aus der Ferne gemahnen mich dann Hasel und Niederstammobst an Olivenbäume und das Bild wäre perfekt.

Leider  – und wie könnte es anders sein – gibt es da ein paar Vermuthströpfchen in meiner provencalischen Voralpenidylle. Die anhaltend hohen Temperaturen machen mir zu schaffen, die Hitze setzt mir zu und erschwert mir auch das „Ferienarbeiten“. Ich schlafe gar nicht mehr und das nährt die Melancholie, die aus dieser Verlustecke herauswabert und mir die Vergänglichkeit – auch dieses schönen Sommers – um die Ohren drescht.

Und so gerate ich jetzt tatsächlich in den „Ich muss es unbedingt richtig und ganz geniessen“-Stress und hoffe plötzlich, dass es doch mal wieder regnen möge, sich alles abkühlt, ich durchatmen und wieder frei und fröhlich von einem heissen schönen Sommer träumen kann, einem, der sich anfühlt als wäre ich in Südfrankreich.