Die Herzenswärme soll fliessen

Vor einer Woche waren wir für ein paar Tage in Amsterdam. Ich wollte meiner Tochter endlich mal eine Stadt, eine andere als Zürich zeigen. Sie ist ja jetzt erwachsen und will sicher auch etwas von der Welt sehen. Da ich nicht allzu gut zu Fuss bin, kamen wir auf Amsterdam. Da kann man alles per Velo machen. Ideal! Wir haben uns alle sehr darauf gefreut. Mein Mann und mein Stiefsohn waren mit von der Partie. 

Und wieder einmal hatte ich Erwartungen. Die hat man ja immer. An dieser Stelle möchte ich jetzt auch mal festgehalten haben, dass es – neben all diesem „In den Tag hineinleben ohne Erwartungen sein und so weiter…“, immer eine gewisse Vorstellung und eine Erwartung braucht um eine Reise zu buchen, ja um generell einen Plan in die Tat umzusetzen. Wenn wir nicht unsere Vorstellungen, Erwartungen und Visionen hätten, würden keine neuen Projekte mehr verfolgt. Die Welt stünde still. Die entscheidende Frage ist wohl die, wie wir auf Unvorhergesehenes und Unerwartetes reagieren und wie wir damit umgehen, dass nicht alles so abläuft, wie wir es erwartet haben.

Annehmen wie es ist?

Ich hatte also eine Idee von uns Vieren, wie wir durch Amsterdam radeln und habe dabei ausser Acht gelassen, dass mein Mädchen schon lange nicht mehr auf einem Zweirad unterwegs gewesen ist. Die gemieteten Stahlesel waren diese für Amsterdam typischen, relativ schweren schwarzen Räder mit Rücktrittsbremse und nur drei Gängen – mehr braucht es in diesem Flachland nicht. Für uns Mountainbike-Radler sind diese Fahrräder schon ein wenig gewöhnungsbedürftig, für meine Tochter, die motorisch ein wenig schlechter unterwegs ist als wir, schon eine Herausforderung.

Das war unerwartet.

Schon an der nächsten Kreuzung kriegte sie Schiss und ist abgestiegen und wollte das Fahrrad fortan nur noch stossen, derweil ein blaues Tram mit Gebimmel angedonnert kam und ich sie im letzten Moment von den Schienen zerren konnte mit dem Resultat, dass sie sich erstmal jeder Fortbewegung verweigerte – dies auch laut. Ich, selber noch unsicher wurde ungeduldig und habe sie angeschrien, dass es gefährlich ist, wenn sie einfach stehen bleibt und dass, und dass und dass……… Sie hielt sich die Ohren zu. Der Versuch mit Einsatz von Humor die Stimmung zu heben wurde sofort abgeblockt und ein mütterlicher Knuff in die Seite mit noch lauterem Gezeter beantwortet.

Die Amsterdamtour fiel mal schnell vornüber in die Gracht und mein Ärger kippte in die Enttäuschung und wollte die schönen Erwartungen alle abschreiben. Wut, schlechte Laune und Ungeduld murksten Akzeptanz und Toleranz vor Ort ab.

Zum Glück habe ich einen geduldigen Partner. Dank gutem Zureden seinerseits – auf ihn hört sie meistens – haben wir die Velo-Kurve doch noch gekriegt. Die sonstigen Verweigerungsmomente haben wir aufs Ablösungskonto überwiesen, obwohl – das gebe ich gerne zu – sie manches Mal schon ziemlich nervten. Doch bin ich nicht eine erfahrene Mutter, geübt in diesen Teenagerspielen und fit in Ablösungsflexibilität?

Bei meiner speziellen Tochter ist alles doch ein wenig anders. Immer wieder will ich verhindern, dass sie unangenehm auffällt, zische ihr ein „Psssssst!“ zu, wenn sie sich zu laut beschwert, mäkle an ihrem Kleidungsstil herum, weil ich will, dass sie hübsch aussieht und – ich sag’s mal brutal ehrlich – nicht noch behinderter als sie schon ist. Doch für wen will ich das eigentlich? Für sie oder für mich? Wo ist denn da meine Akzeptanz geblieben? Spielt die nur, wenn wir die Vorführfamilie geben können, mit spezieller Tochter, die so gut integriert ist und hübsch aussieht, dass man sich wundern kann, auch darüber, dass sie sich „ach so total normal!“ verhält? Uiii!!!!!

Zum Glück klopft die Scham hart an meine Moraltür. „Lass sie los und lass ihr die Freiheit zu entscheiden, was ihr gefällt und wie sie sich kleiden will!“ flüstert mir mein liebendes Ich. 

Ich lasse dann die Herzenswärme zwischen uns frei fliessen und plötzlich gibt es gar keinen Grund zum Widerstand mehr. Dies ist die Ebene auf der wir uns treffen sollten – wir alle – uneingeschränkt! Da ist immer Schönheit und Wärme – und Äusserlichkeiten spielen keine Rolle mehr. Unsere Seelenhäuser sind alle schön – jedes auf seine Weise.

Trotzdem: Menschen, die Begleitung brauchen nicht zu bevormunden und ihnen nicht die eigenen Wahrheiten aufzudrücken, bleibt eine Herausforderung – gerade wenn man die Mutter ist!

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