Die Kleider meiner Mutter

Kleider sind Hüllen, leere Materie, lebloses Material, Stoff, der dem Menschen dient sich vor Nacktheit zu schützen und zu wärmen – meint man!

Doch eigentlich sind sie viel mehr als das. Kleider machen Leute. Mit einem bestimmten Kleidungsstil manifestieren sich Status und der Geschmack .

Die Kleidung suchen wir uns in unserer westlichen, wohlhabenden Welt meistens selber aus. Wir kaufen sie nach unserem eigenen Gusto um darin zu repräsentieren, um uns zu schmücken und hoffentlich auch um uns wohl darin zu fühlen. Wir behängen uns um gut auszusehen mit edlen Stoffen, an denen sich möglicherweise arme Näherinnen in China, Rumänien oder Indien die Finger wundgestochen haben. Dafür haben sie einen Hungerlohn bekommen, der oft nicht ausreicht um ihre Kinder zu ernähren. Das ist auch ein Aspekt!

Für meine Mutter waren ihre Kleider ein wenig wie ihre Kinder. Sie hat schöne Kleider geliebt. Sie waren ihr Ausdruck für Schönheit, mit der sie sich gerne umgab. Sie dienten ihr als Kompensation für den nie erfüllten Wunsch Modedesignerin zu werden und ihr Kauf oder auch ihr Besitz vermittelten ihr Glücksgefühle, frei nach Grönemeyer: „Ich kauf mir ‚was, kaufen macht so viel Spass. Ich könnte ständig kaufen geh’n, kaufen ist wunderschön.“

Meine Mutter kam aus ärmlichen Verhältnissen.Die Beschäftigung mit dem Schönen und die Aneignung dessen hat sie glücklich gemacht und diesen Hunger nach Besitz, nach Luxus – manchmal – gestillt. Sich mit Schönheit zu umgeben, war nicht nur in der Kunst ihr Credo, sondern ein lebensbestimmender Drang.

Wer kann es ihr verdenken? Wir alle befassen uns am liebsten mit dem Schönen, was auch immer das für den Einzelnen bedeuten mag. Und Besitz scheint uns zu beruhigen.

All diese Stoffschönheiten, diese Anziehbeauties, die vielleicht unter Leiden und mit Blut und Schweiss entstanden sind, hatten sicher von meiner Mutter die geschuldete Anbetung und Wertschätzung erhalten und somit in ihr eine würdige Besitzerin. Manchmal hat sie ihre Sachen gestreichelt. Sie hat sie immer gehegt und gepflegt.

Selten hat sie etwas weggeschmissen, allenfalls mal etwas verschenkt, an mich oder eine Cousine.

Der ganze Fundus ist gross und könnte einen Frauenchor ausstatten, und dies nicht nur für das nächste Konzert.

Nun haben meine Schwester und ich all diese Anziehsachen geerbt. Nebst ihren wunderbaren Bildern, die wir in Ehren halten sollen, wünschte sie sich, dass wir ihre Kleider tragen, wenigstens einen Teil davon.

Zuerst machten wir vorsichtig nur eine Stichprobe. Meiner Schwester ist alles zwei Nummern zu gross. Mir passt einiges wie angegossen.

Nun stehe ich also dieser Tage vor all diesen Schränken. Ich bin ein wenig überfordert. Es ist als ob mir jemand eine Boutique voller Kleider zum Geschenk gemacht hätte. Und es ist nicht so, dass ich selber nichts zum Anziehen habe. Es ist auch nicht so, dass mir alles gefällt. Auch ich habe mit meinen über fünfzig Jahren meinen eigenen Geschmack und Stil. Doch da hängen tolle Sachen, gute Namen, seidene Stöffchen, wollene Träume und ich sortiere und probiere – stundenlang.

Was passt mir und an meinen Körper, was zu meinen Sachen?

Nach zwei Stunden bin ich erst mit den Hosen durch. Ich muss wohl nie mehr Hosen kaufen! Doch werde ich sie alle tragen, diese Beinkleider, die ich mir zugedacht habe? Oder werden sie unbenutzt in meinem Schrank hängen? Die Alternative – sie wegzugeben – ist nicht besser und nicht nach Mamis letztem Willen. Also packe ich all die Hosen, ein Grundstock für eine Ladeneröffnung, in meinen Wagen und dazu noch eine übervolle Reisetasche mit ein paar T-shirts, Pullovern und viel edler Unterwäsche, jedes Teil wie frisch bei Belldona gekauft, alles akkurat aufgereit und nach Farben sortiert, gebügelt und nach Mutter duftend.

Mäntel, Jacken und Blazer sind in anderen Schränken untergebracht. Deren Kragen und Taschen hat sie mit Stecknadeln fixiert, sodass keine ungewollten Falten eingedrückt werden, wenn die Teile im Schrank aneinander gepresst dahängen. Wieviel Zeit und Sorgfalt sie in die Pflege ihrer Garderobe gesteckt hat! Und über allem hängt noch ihr Geruch!

Früher hat sie mich ab und zu in ihr Heiligtum eingeladen und mir ein paar gute Stücke zum Probieren gegeben. Passten sie mir, durfte ich sie behalten. Jetzt stehe ich alleine vor diesem Spiegel und arbeite mich durch all diese Hosen, T-Shirts und Pullover. Diesmal kann ich alles haben, was mir gefällt. Alles – wenn ich will. Ich probiere und probiere und fühle mich als Eindringling in Mutters Intimspähre. Es kommt mir vor, als ob ich ihr etwas wegnehme.

Doch lasse ich alles hier, dann ist es noch schlimmer, denn sie hat es sich ausdrücklich so gewünscht. 

All diese Kleider sind doch etwas, das mir bleibt von meiner Mutter. Ich kann sie mir so irgendwie überziehen.

Die Trauer zieht in meinem Bauch. Ich werde das alles an einem Tag nicht schaffen. 

Am nächsten Morgen miste ich zuhause meinen eigenen Kleiderschrank aus und platziere die neue Unterwäsche auf dem mittleren Tablar. Sie wird mir wohl für den Rest meines Lebens von Nutzen sein. 

Währenddem warte ich auf Mamis Anruf und die Frage, wann ich das nächste Mal vorbeikomme, …… denn da sind noch so viele gute Teile, die ich durchschauen muss.

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