Erinnerungen unter der Discokugel

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Wieder einmal so richtig abtanzen. Wann hab ich das zuletzt gemacht? Ich kann mich nicht erinnern. Dann, die Gelegenheit! Save Tibet! Unsere tibetische Freundin hat ins Kaufleuten geladen und wir sind ihrem Ruf gefolgt. Eine gute Gelegenheit auch für meine Tochter, die sonst nicht nach Lust und Laune in den Ausgang gehen kann. Musik und Tanz sind für sie das Grösste, gerade nach Luca Hänni. Der war allerdings nicht da!

Riesige Discokugeln in verschiedenen Grössen und farbige Laserblitze, glitzernde Konfettiregen, Trockeneiswolken und Discooldies liessen Erinnerungen in mir wach werden: „I want your love……“, „Le freak, c’est chic!“ und ich stand wieder in dieser langen Schlange vor dem Pasadena in Zürich oder sonntags vor dem Mascotte. Das war ja eigentlich ziemlich mühsam damals, und ich fand anstehen auch immer irgendwie peinlich. Doch es hatte auch sein Gutes. Man konnte schon mal abchecken ob der süsse Dani auch da war und falls nicht, stand da vorne in der Reihe wenigstens noch Marco, der auch ganz nett war. Mädchengruppen begrüssten sich auffällig, Haare, Schminke und Outfits wurden begutachtet, der neuste Teenie-Tratsch ins Ohr geflüstert und darüber gekichert. Man konnte sich zur Schau stellen, bevor man ins Nachtklubdunkel eintauchte und sich nur noch Dreiwortsätze zuschreien konnte. Fürs Flirten hat das ausgereicht. Wollte man mehr, ging man wieder zusammen nach draussen.

Ach, das waren noch abenteuerliche Zeiten! Die Welt war voller Geheimnisse und Verheissungen, unser Leben schien uns vielversprechend, alles möglich in scheinbar unbegrenzter Zeit. Wir bewegten uns im stampfenden Rhythmus des Discobeats und suchten in der wogenden Menge nach einem geeigneten Subjekt, um unsere verwirrten Gefühle anzuheften.

Meine Freundin und ich waren oft mit meinem Mofa unterwegs – ich bin sogar damit aus dem Säuliamt in die Stadt gefahren. Mein Hinterteil fühlte sich jeweils an als sässe ich in einem Ameisenhaufen, und ich war ziemlich durchgefroren, wenn ich bei ihr ankam. Wir fuhren dann zu zweit weiter, quer durch die ganze Stadt, natürlich ohne Helm. Man schämt sich ja zu oft in diesem Alter. Wurde man erwischt ohne Helm kostete es zehn Franken plus zehn Franken für den Beifahrer auf dem Gepäckträger. Einmal sind wir vor der „Schmier“ abgehauen und haben uns hinter einem Laster versteckt, wahnsinnig abenteuerlich!

All dies scheint mir heute von so geringer Bedeutung. Trotzdem wünschte ich, Annina stünde dieses Erfahrungsfeld auch offen.

Kaum sind wir im Kaufleuten, drängt sie zur Tanzfläche. Sie kann gut tanzen und schafft es – ungewollt – andere mitzureissen. Zwei junge Männer tanzen um sie herum. Ich soll nicht zu nah kommen. Kann ich verstehen. Ich halte Abstand und frage mich ob es heutzutage chic ist, wenn man sich so ungezwungen mit Behinderten abgibt. Blöder Gedanke! Woher kommt mein Misstrauen? Vielleicht daher, dass ich befürchte, dass Annina die Aufmerksamkeit falsch einordnet. Schnell sind die zwei dann ihre Kollegen oder gar mehr.

Sie träumt viel, möchte auch gerne einen Freund haben, aber bitte keinen Speziellen, sondern einen Normalo, einen hübschen jungen Mann. Das Träumen funktioniert bei ihr wie bei jeder jungen Frau. Die Verwirklichung ist umso unwahrscheinlicher. Doch dann erinnere mich, dass ich auch immer in die Falschen verliebt war, in die, die mich nicht sahen, in die, die ausgerechnet an jemand anderem interessiert waren. Was ist der Unterschied? Gehören diese Erfahrungen nicht einfach in den Lebenslauf? Jeder von uns musste erfahren, dass Gefühle nicht immer erwidert werden.

Doch an diesem Abend im schummrigen Disconebel, wo Alt sich an vergangene Zeiten erinnert und Jung sich Erinnerungen schafft, tanzen wir uns die Füsse wund und feiern ohne ans Morgen zu denken.

Annina will jetzt jeden Samstag in die Disco – alleine!