Gestern bin ich schon um halb sechs aufgewacht. Die Hitze in unserem Schlafzimmer unter dem Dach liess mich nicht mehr schlafen. Schliesslich bin ich aufgestanden oder besser -getorkelt. Mein überaus sportlicher Mann sah meinen ziemlich abgehalfterten Allgemeinzustand und meinte lakonisch: „Es wäre gut, jetzt biken zu gehen, jetzt ist es noch nicht zu heiss!“ Ach, ja, der Sport war ja auch noch geplant diese Woche. Jetzt wo er’s sagt! Wenigstens sind noch nicht alle Erinnerungssynapsen durchgeschmort.
Ich brauchte noch ein bisschen Zeit, zum Überlegen, zum Planen, um mich umzuziehen und mich in meine engen Radierhosen zu zwängen, aber dann um sieben hechle ich den ersten „Stotz“ hoch. So weit so gut. Fast während der ganzen ersten Hälfte meiner gewohnten Tour geht es geradeaus und bergab. Ich lass mir den Wind durch die Haare wehen – natürlich ist das Vergnügen mit Helm nur bedingt auskostbar – und sause durch die Sommerlandschaft. Bauern sind schon früh am Heuen. Die Luft wabert noch nicht in dreissiggrädigen Schwaden über die Wiesen. Der Sommer ist noch erträglich, jetzt in den frühen Morgenstunden.
Die Frühe hat ja etwas für sich, kann ich mit meiner halbschlafenden Hirnkapazität denken. Schön, wenn man es jeden Morgen zustande brächte so früh aufzustehen. – Gedanken einer Eule auf Halbmast. Nein, wirklich, die Stille, der kühle, menschenleere Wald – stimmt auch nicht ganz, denn ein paar frühe Vögel sind doch mit ihren Hunden unterwegs. Man sieht, mein Denken findet keine Linie, aber das ist ja eigentlich egal. Ich finde es schön in den Morgen zu radeln und geniesse die Wald- und Wiesendüfte, lausche den Grillen und meinen eigenen, ein bisschen sprunghaften Gedanken. Auch der italienische Schrebergärtner steht schon auf seiner gepflegten Gartenmatte und bindet seine Bohnen hoch. Er grüsst selten. Seine Freundlichkeit gilt dem Gemüse. Ich radle weiter und nähere mich den steilen Herausforderungen meiner Tour. Ich weiss, was mich erwartet und ich werde es schaffen, wie immer. Heute ein wenig mühsamer, liegt’s an der Hitze oder an der Frühe, was weiss ich.
Irgendwann erreiche ich die Hirzelhöhe, umfahre das kürzlich aufgestellte Fahrverbot und schiesse mein obligates Foto. Der Weg ist ja jetzt wieder passierbar für Velos. Weiter vorne, da, wo der Weg abfällt, wo ich mich ganz dem Fahrtwind hingeben könnte und meine endlich erlernten Bremsstrategien auf Kies jetzt greifen, da montieren sie neue Wasserrinnen. Zu blöd auch! Darum wohl das Fahrverbot. Kein Problem, denke ich und fahre noch ein paar Meter auf dem Wiesenrand weiter, bis ich schlussendlich absteige und mein Bike stosse.
Zwei junge Gemeindearbeiter mit orangen Shorts und gleichfarbigem Wägeli buckeln gerade ihre Schaufeln. Ich grüsse freundlich wie immer und stosse mein Fahrrad an ihnen vorbei – nichtsahnend und guter Dinge.
„Das allgemeine Fahrverbot gilt auch für Sie!“ bellt mich jetzt der eine an. Sein Haar unterscheidet sich nur in wenigen Tönen von seiner Hose und steht nach allen Seiten ab, sein rechter Arm ist volltätowiert. Das fällt mir auf, weil ich ihn aufmerksam betrachte, nicht weil das etwas über seinen Charakter aussagen soll. Mein Arm ist schliesslich auch tätowiert. Wie auch immer, ich antworte natürlich freundlich: „ Ich bin ja kein Autofahrer. Mit dem Velo mach ich nichts kaputt.“
Ha, da kann ja jeder kommen. Vielleicht hat er zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Regeln sind für alle da und ein allgemeines Fahrverbot meint „allgemein“, also auch die Velofahrer.
Ja, ok, wenn man es genau nimmt schon, aber muss man es so genau nehmen.
„Ok, aber ich komme von da,“ ich zeige mit ausgestrecktem Arm Richtung Schönenberg „und ich habe jetzt die ganze Runde gemacht und kann jetzt nicht einfach umkehren. Die Signalisation ist reichlich spät, da kann ich ja nicht mehr einfach alles zurückfahren oder?“ Vor allem ist mir das viel zu anstrengend!
„Die Signalisation ist korrekt, so dass man wenden kann.“ Pffff, das Wenden ist mit einem Bike ja nicht das Problem. Doch dieses scheint eh auf einer anderen Ebene zu liegen. Tja, zwei junge Böcke, halb so alt wie ich, finden an einem heissen Sommermorgen Gefallen daran, die „Alte“ mit ihrem Bike zurecht zu weisen. Sicher hat die nichts zu tun und kann darum einfach so durch die Gegend radeln und schert sich auch noch einen Dreck um Recht und Ordnung! Ja, so bin ich wohl. Den ganzen Tag müssen die Beiden in der Hitze schuften und so jemand wie ich, die nichts zu tun hat, interessiert sich einfach einen Deut für ihr Fahrverbot. So eine Respektlosigkeit auch!
Nun, ich bin dann einfach weitergegangen – schliesslich habe ich wirklich nichts beschädigt – und habe mich wieder einmal über die menschliche Engstirnigkeit gewundert. In diesem zarten Alter!
Gerne sässe ich bei den jungen Herren mal am Samstagabend und nach ein paar Bier im Auto. Ich würde nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass ihnen Recht und Ordnung dann ebenso wichtig sind.
Vielleicht erwirbt man Grosszügigkeit erst mit dem Alter.