Herbstbetrachtungen

Ein farbiger Spätherbsttag, immer noch warm, wärmer als erwartet. Er will den Sommer nicht loslassen, haucht die Wärme angestrengt durch die blättrigen Waldwege und lässt mich noch einmal mein Bike besteigen. Voller Freude radle ich durch den farbigen Blätterwald, atme den erdigen Walduft von modernden Blättern und feuchten Tannennadeln ein und sehe mich plötzlich Aug in Auge mit einem aufgeschreckten Eichhörnchen, das keinen Menschen erwartet, nicht mehr um diese Zeit. Viele Bäume sind schon kahl. Der letzte Sturm hat einige der grossen Laubbäume leergefegt, doch die Widerspenstigen unter ihnen halten beharrlich an ihrem gelben und orange-roten Blätterkleid fest, das die Sonne jetzt leuchten lässt und ihnen noch einmal diese königliche Attitude vergangener Grösse verleiht. Bald wird sie ihnen genommen. Der nächste Sturm wird noch unbarmherziger durchschütteln bis sie ihm alles gegeben haben. Nichts bleibt! Nur ihre schwarzen Gerippe, die sie dem winterlichen Grau und Weiss trotzig entgegenstrecken werden.

Doch soweit ist es noch nicht und die Landschaft im goldenen Spätherbst hofiert mir mit ihrer schönsten Seite.

Ich fahre meine gewohnte Route, die Landschaft geniessend und wie immer in Gedanken. In welcher Jahreszeit ich mich auch befinde, wenn ich des Weges komme, immer ist die Landschaft eine Andere, hat sich ihre Farben neu sortiert, das Gras hochstehend und trocken oder gekürzt und saftigen Grasduft verströmend, die Felder mal Gelb, mal Braun, voller Blüten, von üppigem Grün, dann alle Varianten von Orange, die  zu kargen grau gefrieren. Der Wald, hoch thronen die grossen Tannen, dazwischen schütteln Laubträger raschelnd ihre Blätter, Stille ist der Boden, von wo sich jedes Kleine Geräusch klar abhebt und ein Lauschen verlangt. Sonnenuntergang manchmal wie Blut, das vom Himmel rinnt in zartes Jungmädchenrosa mit Varianten von Gelb und hellem Blau.

Ist die Steigung steil und nimmt mir viel von meinem Atem, wölben sich die Grasborte zu beiden Seiten, dann schiebt mich die Grünkraft vorwärts und das Wissen, dass ich es schaffen kann, ohne Angst. Das Wissen, dass alles seinen Lauf nimmt und ich ein Teil von Ewigkeit bin, begleitet mich. Ich trete es in die Pedalen und in mich hinein mit jeder Umdrehung aufs Neue, aufwärts und aufwärts….

Auf der Talfahrt kühlt der Wind mein verschwitztes Gesicht und in mir jubelt es und jauchzt, während ich der Talsohle zufliege. Ich folge einem Bachlauf, der die kleine Strasse durch das Moor säumt. Ein Fischreiher wird aufgeschreckt und setzt zum Flug an, begleitet mich auf meiner Fahrt für ein paar hundert Meter bevor er zu einer Schlaufe ansetzt und wohl zu seinem Ursprungsort am Bach zurückkehrt um dort auf seinen Stelzenbeinen der Dinge oder der Fische zu harren, die da kommen sollen.

Heimzu jetzt, eine warme Dusche und viele neue Gedanken, Ideen, aufwärmen und entfalten – auch im Spätherbst.