Hohe Erwartungen

Seit sieben Uhr öffne ich immer wieder schnell meine halbschlafenden Augen und schau mir die Wolkenformationen am Morgenhimmel an. Sie verändern sich laufend, formieren sich neu, wechseln ihre Farbschattierungen der verschiedenen Graus bis zu Weiss und belassen der Sonne kleine Lücken um durchzuscheinen und sie mit ihrem warmen Glanz zu krönen. So geht das schon seit einer dreiviertel Stunde und ich konnte mich noch nicht aufraffen, mich nicht losreissen von diesem Anblick und nicht von meinem noch eingelullten, müden Morgen-Ich, das sich noch nicht wirklich fit fühlt für diesen Tag.

Und wenn ich mich jetzt nicht weiter innerlich dafür tadeln würde, dass ich wieder nicht aus den Federn komme, nachdem ich schliesslich die Hälfte meines Wochenendes gearbeitet habe und mich dabei ziemlich ausgekotzt habe, dann würde ich es wohl schaffen mich mal wenigsten aufzusetzen in meinem Bett.

Das tue ich dann auch und beginne zu schreiben und mir wird soeben klar, dass ich nicht sehr nett, sondern sehr fordernd mit mir umgehe. Der Prozess der Wortfindung für mein Gefühltes und vielleicht auch noch die Bewegung meiner Finder, wenn sie über die Tastatur tanzen, schaffen Klarheit und Ordnung in mein Gedankenwirrwarr.

Druck, mit dem wir uns herumschlagen, der uns erschöpft und entmutigt, kommt meistens von innen. Wir tun das selbst. Klar, nicht nur, es wird von aussen auf uns eingewirkt. Erwartungen stehen im Raum. Schon unsere Eltern wollten, dass wir es mal besser haben, dass wir ihr Lebenswerk weiter führen oder mindestens einen ähnlichen Weg einschlagen und sei es nur um den ihrigen zu legitimieren. Wir möchten genügen, gefallen und geliebt werden. Wir haben unsere eigenen Erwartungen an uns selber noch höher gesteckt als die, die von aussen auf uns eindrücken, denn wir hoffen noch besser zu sein, ja überragend.

Um diesem leidigen Bemühen noch die Krone aufzusetzen versuchen wir Frauen auch noch zwei dieser Bühnen zu bespielen. Wir sollen und wollen im Beruf erfolgreich sein und auch als Mutter. Dabei sollen unsere Kinder gut gedeihen und schon in ihrer Schulkarriere erste Erfolge aufweisen können. Das Kind soll ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln und das Ziel ist einen Menschen aufzuziehen mit guter Work-Life-Balance, der ganz bei sich, mit beiden Füssen erfolgreich in Beruf, Familie und Sozialleben steht. Dabei müssen wir auch noch diesen leidigen Haushalt meistern, was wir ja so nebenbei noch schaffen, wofür es keinerlei Lohn zu erwirtschaften gilt – im Gegenteil – da fliesst die meiste Kohle auch wieder raus.

Zu guter Letzt wäre es schön dabei nicht zu gestresst zu wirken, sich fit und schlank zu halten und möglichst ausgeglichen und eben bei sich zu sein, denn man ist ja schliesslich auch ein Vorbild  – als Mutter.

Obwohl der Muttermythos bröckelt, plagen wir uns immer noch mit unseren Schuldgefühlen herum und immer mehr mit unseren Versagensängsten, weil die Anforderungen täglich grösser werden. Brechen veraltete Vorstellung ab, bauen sich an anderer Stelle exponentiell neue auf. Es ist zum Davonlaufen und es könnte einem verleiden! Und fragt mich nicht nach einer Lösung, denn der Stein des Weisen ist noch nicht gefunden!

Widerstand? Sich nicht mehr darum scheren? Darauf pfeifen, was andere und überhaupt die Gesellschaft von mir erwarten? Das Einzige, das wir sicher tun können ist, uns für uns zu entscheiden und unser weiteres Handeln danach auszurichten. Kinder können nur so glücklich sein wie ihre Mütter. Genauso verhält es sich mit unserem Umfeld. Wir tun unser Bestes, das muss reichen. Wenn es für uns genügen darf, haben wir auf einen anderen Sender geschaltet. Der Empfang für weiteres Zweifeln, Zaudern und für ständige Kritik ist darauf schlecht.

Bis wir unsere Antennen neu gerichtet haben nehmen wir Schritt für Schritt, Tag für Tag, auf dem Weg, wir lernen, wir wandeln uns und erfahren uns neu. So ist Leben gemeint – glaube ich!