Inklusion, Integration – einfach mal loslassen

Osterbar in Schönenberg. Bauern, Handwerker und ein paar Verwegene, sonst inaktive Vereinsgänger, wie wir und unsere Freunde treffen sich zum ländlichen Abfeiern vor Ostern. Das relativ hohe Durchschnittsalter wird nur gedrückt von einer Gruppe ganz Junger. Für die läuft die Musik, die ohrenbetäubend ist oder auch für uns, damit wir uns einmal im Jahr jung fühlen, nicht reden müssen, weil wir uns eh nicht verstehen und kopflos abfeiern, rauchen, trinken und essen. Es wurde auch schon getanzt! Mich langweilt’s nach einer Stunde, eben weil ich mich nur schreiend unterhalten kann, dabei immer nur die Hälfte verstehe, mein Hals langsam schmerzt und mir vor lauter Rauch alle Riech- und Geschmacksnerven dicht machen. Wir bleiben dann doch immer bis Mitternacht, obwohl wir uns schon im Vorfeld erlauben auch früher gehen zu dürfen.

Annina kommt mit. Sie ist erwachsen und findet’s super. Nachdem sie ihre Wurst mit Pommes verdrückt hat, macht sie sich mit ihrer alkoholfreien Bierflasche in der Hand – sie meint das sei ein richtiges, wie es alle in ihrem Alter trinken – aus dem Staub. Sie hat ein paar bekannte Gesichter von Leuten in ihrem Alter ausgemacht. Da will sie hin. Sie begrüsst Rafi und Fabian und wie auch immer sie heissen, deren Freundinnen und bleibt da, greift in deren Pommesteller, macht wohl einen Spruch, wirft den Kopf in den Nacken, lacht und bleibt.

Und ich mache mir Sorgen, dass sie stört, dass sie sie nicht dabeihaben wollen. Das wäre ja verständlich, dass die Gruppe unter sich sein will, legitim. Oder?

Annina hat sich ungefragt dazugesellt und sie wird den ganzen Abend da bleiben. Keiner meiner Versuche sie zurück an unseren Tisch zu locken fruchtet. Sie findet’s cool bei den jungen Leuten zu hängen, dabei zu sein, auch wenn sie von denen nicht gross beachtet wird. Merkt sie’s? Ich habe es bemerkt. Sie wird geduldet. Es wäre politisch nicht korrekt sie wegzuschicken. Zudem tut sie ja nichts, steht nur da und hört zu oder tippt irgendetwas in ihr Handy.

Als ich mal aufs Klo gehe, kreuze ich einen der Jungs. Er versichert mir eifrig, dass ich mir keine Sorgen machen müsse, Annina sei ganz anständig, also wirklich sooo anständig. Die Erleichterung darüber bleibt mir irgendwie im Halse stecken und ich kann mich nicht freuen. Es ist nett gemeint. Mir ist aber auch klar, was es wirklich bedeutet. Sie stört nicht, darf da schon stehen oder sitzen, aber niemand würde sie holen, niemand legt Wert darauf, dass sie da ist, keiner setzt sich aktiv mit ihr auseinander, fragt sie etwas, unterhält sich mit ihr. Berührungsängste oder Desinteresse? Da viele Annina vom Sehen kennen, tippe ich auf Letzteres.

Ist das wirklich das, was ich mir für Annina wünsche. Ist das Inklusion, zumindest Integration?  Mache ich mir Gedanken und Sorgen um nichts. worauf ich einen Einfluss habe? Sie will dabei sein, sie findet’s cool. Ich wollte sie ja ihre eigenen Erfahrungen machen lassen, loslassen. Also ist dies wohl eine Gelegenheit!

„Lass sie machen. Es passiert ihr schon nichts. Du siehst ja, sie geniesst es“, schreit mir mein Mann ins Ohr.

Ich kann und muss sie nicht retten an diesem Abend. Um die Welt zu verändern ist das Zeitfenster absolut zu klein und offensichtlich hat sie Spass. Es genügt ihr dabei zu sein. Sie fühlt sich zugehörig und sie wird noch tagelang davon sprechen.

Was hat das wieder mit mir zu tun? Es gibt Tage, da wird mir diese Frage lästig. Darum lasse ich sie heute einfach stehen und geniesse die Sonne. Morgen ist auch noch ein Tag.