Kürzlich kam mein zweiundzwanzigjähriger Sohn zu mir. Er war sehr betroffen über einen Text einer „regretting mother“, den er auf facebook gelesen hatte. Er sagte:“Mami, was geschieht mit den Kindern, wenn sie das lesen? Es tönt so herzlos!“
Ich habe ihm erklärt, dass diese Mütter endlich über ihre Probleme oder ihre Überforderung sprechen bzw. schreiben können und so realisieren dass sie nicht alleine sind mit ihrem Stress oder ihrer Depression. „Aber die Kinder, Mami? Es ist schrecklich, wenn die eigene Mutter so etwas schreibt!“ Ich kann ihm keine Antwort geben. Ich erinnere mich aber noch, wie wir uns gestritten hatten, weil ich über unsere Ablösungsprobleme und seinen Auszug von zuhause geschrieben habe. Er hat es vergessen.
Im angesprochenen Fall empfinde ich dasselbe. Jenseits meines Mitgefühls für die Mütter, meinem Verständnis und meinem Verstand, überkommt es mich bei solchen Artikeln jedes Mal kalt und mir tut’s im Herzen weh. Ich möchte den Mütter raten: Geniesst die Zeit mit Euren Kinder. Sie ist allzu schnell vorbei! Hegt das Feuer der Liebe in Euch. Es wird auch Euch wärmen.
Aber natürlich ist auch mir das nicht immer gelungen. Wie gesagt, ich kann die Mütter auch verstehen – bis zu einem gewissen Grad zumindest. Ich bin selbst Mutter von drei Kindern, einem Zwillingspaar, wovon das Mädchen mit einem Down Syndrom geboren ist und einem drei Jahre älteren Jungen, der nach der Geburt seiner Geschwister einigen Eifersuchts-Stress machte. Man kann mir also nicht vorwerfen, ich hätte keine Ahnung was Muttersein bedeutet. Ich habe ein Familienunternehmen gebuckelt mit allem, was dazu gehört – auch diversen Haustieren – und einem Kindesvater, der alles besser wusste, aber nichts besser machte. All dies war so nicht geplant. Das Leben wollte mir wohl diese Aufgaben stellen. Karma?
Ich habe mich oft alleine gefühlt, auch verzweifelt, am Ende meiner Kräfte. Aber noch viel öfter war ich einfach voller Liebe für diese Kinder und ich hätte mich jederzeit und immer wieder für sie entschieden. Sie haben mein Leben so viel reicher gemacht, wenn auch manchmal ebenso schwierig. Ich war unglaublich bemüht, dass sie es gut haben, besser! Ich wollte sie nicht nur abfertigen, sondern wir sollten die gemeinsame Zeit zusammen auch mal geniessen können. Sie sollten spüren, dass sie geliebt werden, dass sie gut sind, so wie sie sind und gewollt.
Mein Gott, ja, ich habe auch oft die Nerven verloren, bin aus der Haut gefahren und habe herumgebrüllt, war ungerecht und manchmal wirklich verletzend. Ich habe mich nachträglich mit Schuldgefühlen herumgequält, mit der Sorge, dass ich Schäden verursacht habe, die nicht mehr zu beheben sind. Jeder von uns weiss ja, wir sind nicht perfekt. Wir machen Fehler, selbst im grössten Bemühen, diese zu vermeiden. Dann habe ich das Kind in den Arm genommen, mich entschuldigt und habe ihm einfach gesagt wie sehr ich es liebe. Die Liebe war in jedem Moment grösser.
Ich weiss, ich weiss, all diese Mütter, die ihre Entscheidung zum Muttersein bedauern, lieben ihre Kinder auch. Sie haben vielleicht auch Schuldgefühle, und sie fühlen sich einfach schlecht, was die Kinder ja auch merken. Kinder haben ein feines Gespür für unsere Gemütslage und sie beantworten diese meistens nicht mit Engelsgeduld und Zuneigung.
Was geschieht mit diesen Kindern, wenn sie je lesen, was ihre Mütter über ihre Gefühle und über sie geschrieben haben? Wie werden sie damit klar kommen, dass ihre Mütter eigentlich bereuen, sie gezeugt zu haben? Genügt ein „ich liebe sie ja trotzdem“ oder „irgendwie habe ich es dann doch geschafft“ wirklich um einem Kind das Gefühl zu geben, dass es erwünscht ist? Obwohl es ja für all diese widrigen Umstände verantwortlich zu sein scheint?
All die vielen Lebenssituationen, die unsere Erinnerungen prägen, Freuden, die ein Kind mit uns teilen will. Wie, wenn es immer spüren muss, dass es seine Mutter eigentlich voll ankotzt sich mit ihm herumzuschlagen, sie lieber alleine und woanders wäre. Jedes Kind spürt das, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Ok – es ist wie es ist und gewisse Lebensumstände lassen sich nicht vollumfänglich und im Vornherein kalkulieren. Zudem weiss ich weder einen guten Rat, noch eine Lösung wie mit dieser Überforderung umzugehen ist, wenn sie so eintrifft. Ich weiss nur, dass die Zeit so schnell vorbei geht. Plötzlich sind die Kinder gross und sind weg. Dann ist es endlich ruhig und man wird weder beim Telefonieren ständig unterbrochen, noch braucht jede Tätigkeit doppelt so lang. Man ist wieder ganz auf sich konzentriert und Multitasking-Bemühungen gehören auch der Vergangenheit an.
Ich mag diesen Lebensabschnitt. Trotzdem vermisse ich meine Kinder oft, und ich bedaure, dass die Zeit als sie noch klein und mir so nah waren unwiederbringlich vorbei ist.
Wenn meine Kinder jetzt zum Essen kommen, hoffe ich, dass sie ein wenig länger bleiben und denke mir Fragen aus, womit ich sie festnageln oder in eine Diskussion verwickeln kann. So bleiben sie mir noch ein Weilchen. Nie mehr werde ich mit ihnen – so wie einst – kuscheln und schmusen oder sie auf den Hüften tragen. Es sind jetzt schliesslich erwachsene Männer. Sie knutschen ihre Freundinnen. Meine Tochter ist mir geblieben zum Herzen, aber auch zur Sorge.
Muttersein ist eine grosse und verantwortungsvolle Aufgabe. Ich werde immer Mutter bleiben und meine Kinder werden immer in meinen Gedanken sein. Das ist wunderschön und erfüllt mich mit grosser Liebe. Das ist, was immer bleibt, bis ans Ende unserer Tage. Ein grosses Geschenk.
Ich hoffe, dieses Gefühl begleitet meine Kinder und ich bete dafür, dass all die Kinder, denen solches nicht vollumfänglich zuteil wird, eine Tante, Grossmutter oder irgendeinen Menschen finden, der sie bedingungslos liebt und ihnen damit hilft den Glauben in sich selbst zu finden. Jedes Kind ist einzigartig und hat es verdient!
Ebenso hoffe ich, dass all diese Mütter noch den Weg finden zu ihrem Muttersein und das Zusammensein mit ihren Kindern manchmal wenigstens geniessen und mit ihrer Liebe wärmen können.