Am Donnerstag ist ein Mamablog von mir erschienen zum Umgang meiner Tochter mit facebook und meiner Rolle dabei. Kann ich sie schützen und wie? Es hat dazu über hundert Kommentare gegeben und nicht alle waren wohlwollend.
Wir alle sind beim Lesen und vor allem in unserer Meinungsbildung selektiv. Das fällt mir immer wieder auf. Wir fokussieren uns auf eine Aussage, einen Texteil eines ganzen Artikels, der uns inhaltlich besonders berührt und bleiben daran hängen. Aus dieser persönlichen und individuellen Wahrnehmung heraus werden dann Meinungen gebildet und geäussert. Ich kann das verstehen. Es geht mir auch so. Nur wird dabei oft ein grosser und wichtiger Teil der Aussage ignoriert, verdrängt oder schlichtweg vergessen. Dementsprechend fallen dann auch die Kommentare aus und darum fühle ich mich als Schreiberin dann von einigen Lesern missverstanden. Doch, wie so vieles im Leben, ist das nicht ungewöhnlich und ich muss mich damit auseinandersetzen um irgendwie damit umzugehen, so dass es mich nicht verletzt.
Was mich besonders beschäftigt ist der Vorwurf, dass ich meine Tochter der Lächerlichkeit preisgebe, ja der Oeffentlichkeit zum Frass vorwerfe, weil ich über sie schreibe. Diese Argumentation hat tatsächlich ein paar Punkte, die ich nicht einfach ignorieren kann, weil ich natürlich auf keinen Fall meinem Kind schaden will.
Ich denke in meinem Blog schreibenderweise nach, wie ich meine spezielle Tochter begleiten kann in ein Leben, das möglichst selbstbestimmt und würdevoll ist. Und dabei beisst sich die Katze in den eigenen Schwanz und ich kann es nicht vermeiden. Ich schreibe über uns, also auch über sie und gebe damit privates in den offenen Raum, weil ich andere Menschen mit unserer Geschichte berühren und sensibilisieren möchte. Mein Anliegen ist zu zeigen: „Hey, es ist nicht immer einfach, aber eigentlich normal. Ob Down Syndrom oder Normalo, wir alle müssen uns immer wieder bemühen, unser Handeln überdenken, loslassen und wieder neu anfangen um miteinander in dieser Welt klar zu kommen und uns in Liebe begegnen zu können.“ Ein momentan und immer aktuelles Thema.
Dafür gebe ich dem Leser Einblick in mein Leben und Erleben mit meiner Tochter. Natürlich habe mit ihr darüber gesprochen und sie hat nichts dagegen. Aber kann sie es wirklich beurteilen? Und wieder steht da die Frage im Raum: Wie würde sie entscheiden, wenn sie kein Down Syndrom hätte? Würde sie es mir verbieten über uns zu schreiben, weil das niemanden etwas angeht? Das ist sehr wohl möglich.
Ein Dilemma, das Dilemma jedes Autors, der/die über Persönliches schreibt. Kein Mensch steht alleine in der Welt, sondern lebt in einem Netz von Beziehungen, zu Familie, Freunden, Bekannten, in Beruf, Hobby, etc. Die Entscheidung, sich öffentlich zu äussern, bedeutet sich zu zeigen, offen, klar und unverschlüsselt oder aber im Schutzmäntelchen, verdeckt. Selbst dann laufen wir Gefahr jemandem auf den Fuss zu treten. Ich persönlich kann nur offen und klar sein und bleibe somit auch sehr antastbar und verletzlich. Zudem besteht die Gefahr, dass ich damit Menschen aus meinem Umfeld in mein Rampenlicht stosse, Menschen, die lieber im Dunkeln bleiben.
Mein Leben ist verbunden mit dem vieler anderer. Schreibe ich davon, werden sie in dieser, meiner Geschichte erscheinen und ich kann eigentlich nur die Namen ändern, denn sonst müsste ich die Geschichte neu schreiben, verschlüsseln, neu erfinden.
Das kann ich nicht, denn ich will ehrlich sein, hinstehen und erzählen wie es ist, mein Leben mit einem Kind mit Down Syndrom, mein Leben als fünfzigjährige Frau in den Wechseljahren, mein Leben, das nicht immer schön und geradlinig verläuft, aber das mir auch viel Glück bringt, wenn ich es sehen will, dass mit Humor auch die manchmal weniger schönen Begebenheiten zu ertragen sind, dass Leben reich ist an Erfahrungen, allen Erfahrungen, dass das Leben nicht einfach ist, aber lebenswert. Wenn ich Schwieriges schildere, dann immer mit der Absicht, Leser daran teilhaben zu lassen, wie ich damit umgehe. Durch das Schreiben werden neue Denkprozesse angestossen.
Und zu guter Letzt will ich es nicht verhelen: Wer schreibt, meint, etwas zu sagen zu haben, dass für die Menschen von Bedeutung sein könnte…… und sei es nur um diese Reaktionen zu erzeugen: „Ja, genau, so ist es mir auch schon ergangen. Das musste schon lange mal gesagt werden!“ oder „Ah, interessant, so geht die damit um. Vielleicht könnte ich das auch?“
Diesem Anliegen opfere ich Privatspäre, gehe mutig mit meinem Erleben und meinen Gefühlen in den öffentlichen Raum und hoffe Herzen zu erreichen und möglichst wenig Widerstand zu generieren. Wohl werde ich nicht jedem Menschen, der mein persönliches Erleben mitgestaltet gerecht und das tut mir leid. Aber es gäbe keine autobiografischen Texte, keine Berichte, die das Leben schrieb, wenn wir uns nicht erlauben würden darüber zu schreiben, was die Leben anderer Menschen mit dem unseren zu tun haben. Das Risiko jemanden damit zu verletzen, zu missachten oder zu erzürnen bleibt.
Das Leben steckt voller Risiken 🙂