Orte, die uns willkommen heissen

 

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Es gibt Orte die uns willkommen heissen und solche, wo man nicht wirklich ankommen kann. Die Kriterien, warum uns wohl ist oder wir uns fremd fühlen sind wohl so vielfältig und vielschichtig, wie wir Menschen. Unsere Erwartungen und Vorstellungen, die wir von einem Ort haben, den wir in Kürze zum ersten Mal sehen werden, auch wenn wir immer gerne behaupten oder uns zumindest darum bemühen, keine zu haben, spielen dabei die zentrale Rolle. Werden sie enttäuscht ist ein schnelles Ankommen wohl eher gefärdet.

Ich weiss wovon ich spreche, war ich doch gerade in den Ferien, auf einer Reise nach Venedig, durch Apulien und noch ein Stück hoch an die Amalfitanische Küste. Traumdestinationen, die in jedem Kopf das Kino ankurbeln und romantische Bilder im Superlativ produzieren.

Wenn man durch Orte reist, wo man zuvor noch nie war ist das immer auch zeitraubend, weil es sehr viel neu herauszufinden gilt. Man sucht nach Plätzen, die einem gefallen, wo man eben ankommen, anlegen kann. Die Möglichkeit sich wohlzufühlen bedingt nicht unbedingt, dass alles wie zuhause ist, doch – das ist auf jeden Fall für mich so – dass ein Teil meiner Bedürfnisse, z.B. nach gutem Essen, reisetauglichem Wetter, einem Ambiente, das mich irgendwie zu interessieren vermag und nach guten Begegnungen mit anderen Menschen, abgedeckt wird. Dies ist mir auf dieser Reise nicht immer gelungen, vor allem anfangs war ich doch oft auch abgestossen. Bei unserer Ankunft in Apulien vom Wetter, das sich aber schon am kommenden Tag von Regen zu Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen wandelte, aber auch von den vielen Bauruinen und einer gewissen Schäbigkeit der Armut und Nachlässigkeit, der man in Süditalien nebst dem bezaubernden morbiden Charme verwitterter Städtchen mit ihren Fassaden von abblätternder Häuserfarben in allen denkbaren Schattierungen, die sich vor der Gewaltigkeit des Meeres ducken und manchmal auch von einer grösseren Vergangenheit flüstern, auch begegnet.

Die Hässlichkeit gewisser Wohn- und Stadtgebiete, selbst in ländlichen Gegenden empfinde ich als etwas Bedrohliches. Ich fühle mich verloren in wüstem Umfeld und es verunsichert mich, auch weil ich mich meiner Privilegien schäme und doch den Drang verspüre sehr schnell zu diesen zurückzukehren. Ich bin wohl verwöhnt und meine Ansprüche und mein Empfinden sind daraus entstanden.
Das Einzige, was mir zu meiner Verteidigung einfällt ist, dass auch Kargheit oder verblasste Schönheit, selbst Zerfall durchaus einen interessanten optischen Wert zu bieten haben, der mir zugänglich ist, und mein Auge ist immer auf der Suche nach neuen Blickwinkeln, Bildern, Details, Szenen, die mir erst auf den zweiten oder dritten Blick ihr Geheimnis offenbaren. Immer wach und mit Interesse beobachte ich und hoffe auf kleine Trouvaillen, die sich mir erschliessen. Doch das wirklich Hässliche erschreckt mich zutiefst. Es macht mir Angst, weil sich mir ein grosser leerer Raum der Lieblosigkeit eröffnet und ich fühle mich mehr als unbehaglich dabei und darin und kann mich nicht wirklich damit arrangieren. Vielleicht hat es damit zu tun, dass sich Hässlichkeit vor allem dort offenbart, wo auch das Bemühen um Schönheit fehlt und dieses misst sich nicht am Wohlstand, sondern wird in den Seelen der Menschen geboren.

Und manchmal sind zwei Wochen auch einfach zu kurz um hinter Kulissen, die für Touristen errichtet wurden zu blicken. Trotzdem habe ich meine Sammlung an Eindrücken schön anreichern können, zuerst mit dem Farborchester eines barocken Sonnenaufgangs in der Serenissima, dann in Apulien mit den kargen Landschaften, in Dunkelgrün und Graubeige, mit Steinmäuerchen um die Olivenhaine, Pinienwäldern an der Küste und wild zerklüfteten Felsformationen, die sich ins Meer neigen, mit Sonnenaufgängen, die sich durch feuchte Herbstmorgennebel strahlen wie sengende Schweisslichter und schliesslich mit den nostalgischen Reminiszenzen und der üppigen Vegetation Amalfis – volare, cantare und amore und nicht zuletzt mit den Früchten des Bodens und des Meeres, die täglich meinen anspruchsvollen Gaumen so sehr erfreuten, dass ich noch jetzt ins Schwärmen komme.

Was zu den unwirtlichen Plätzen dieser Erde noch zu sagen ist: Wenn wir genug Zeit haben, können wir uns überall häuslich einrichten. Schönheit kann mit wenig Mitteln und mit Liebe gezaubert werden.