Nächste Woche hat Annina Ferien. Gestern Nachmittag war ich auf ihrer Wohngruppe und habe ihre Sachen gepackt.
Ich betrete ihr Zimmer, das ich ihr mit viel Liebe eingerichtet habe, damit sie es schön hat in ihrem neuen Daheim. Das könnte es schon bald nicht mehr sein.
Ihr Bett ist gemacht. Die Decke akkurat zusammengefaltet, ihr Pult aufgeräumt, sogar in ihrem Kleiderschrank sieht es ziemlich ordentlich aus. Ihre Betreuerin, eine hübsche Mittzwanzigerin mit langen schwarzen Haaren hilft Annina bei ihren täglichen Verrichtungen, auch dabei ihr Zimmer in Ordnung zu halten. Sie strahlt Wärme aus. Mit ihr kann ich mich gut austauschen und spüre die Wärme, die sie Annina entgegenbringt, wie auch mir ihrer Mutter. Frauennähe!
Andernorts vermisse ich diese und es schneidet mir ins Herz. Schliesslich geht es um das Schicksal eines Menschen, der es schon schwer genug hat einen Platz in dieser Gesellschaft zu finden.
Ablösung ist wichtig, Integrität und Selbstbestimmung, heisst es immer. Darum das neue Erwachsenenschutzgesetz. Doch Widerstand und Revoltieren haben dann doch gar keinen Platz. Das Erstaunen über ihr Verhalten ist gross und bald ist die Geduld aufgebraucht. Zynismus als Platzhalter für Hilflosigkeit oder Überforderung? Zynismus kann Annina nicht verstehen. Sie spürt nur dessen Kälte und weigert sich einmal mehr. Darauf weiss sie keine Antwort! Sie ist überfordert.
Da stehe ich in ihrem Zimmer, atme ihren Duft ein, drücke einen ihrer Pullis ans Herz und könnte heulen. Mein Mädchen! Ich möchte sie beschützen, sie vor allem Schmerz und Ablehnung abschotten, sie bewahren vor Enttäuschung und weiss, dass ich gerade dabei bin mit vollen Segeln am nächsten Riff zu kentern. Ich bin müde und das Ruder wiegt schwer in meiner Hand. Doch noch gebe ich es nicht aus der Hand, denn ich muss Annina sicher in den nächsten Hafen bringen.
Ich hoffe auf lauere Winde und versuche mich zu entspannen. Schliesslich kann ich auch schwimmen. Wir werden es irgendwie schaffen! Einfach ist es nicht bei diesem Wellengang!