Nachdem ich mit heute morgen wieder mühsam aus meinen Traumwelten schälen musste, habe ich mich gefragt, was wohl meine Tochter träumt. Wie wichtig sind Träume für ihr Leben?
Es gibt ja Träume und Träume, Träume, die uns geschenkt werden, ungewollt und im Schlaf, die sich aus unserem Unterbewusstsein emporhangeln und sich in einer kurzen schlafenden Halbbewusstheit zu einer Handlung verdrehen. Sie senden uns eine Botschaft, so meine ich, die in diese verwirrenden Gefühlslagen gebettet ist, die uns beim Aufwachen oft so zerschlagen und ratlos zurücklassen. Die, die uns mit ihrer Schwere drücken, die Alpträume können ganze Tage mit ihrer Allmacht verdunkeln. Ebenso können uns Träume Wege weisen, eine Entscheidung vorwegnehmen oder uns ganz einfach das Glück zeigen.
Wenn meine Tochter morgens besonders grantig ist wie gestern, dann kann es wohl sein, dass sie nicht schön geträumt hat. „Mir gaht’s hüt nöd so guet, Mami, bin verkeltet.“ brummelte sie als ich sie geweckt habe. Erkältet war sie nicht, aber wohl eben nicht wohl. Bewusstes reflektieren ist ihre Sache nicht, darum konnte ich nur mutmassen und auch das nicht allzulange, denn sie musste aufstehen, sich anziehen, ihre Sachen packen und auf den Zug nach Zürich ins Hora. Annina wollte aber nicht aufstehen. Ich schickte meinen Mann. Der schafft es immer mit seiner ruhigen Art und einer Prise Humor und schon sass Annina am Tisch und löffelte ihr Joghurt. Total vital und aufgestellt war sie immer noch nicht.
Am liebsten würde sie wohl den ganzen Tag, wie schon den Sonntag, in ihrer selbstgewählten Tagtraumwelt verbringen.
Genau, die gibt es nämlich auch noch, diese Träume, die uns bewusst und tagsüber ein schöneres Leben vorzaubern. Annina gehört dann zu der Glee-Truppe. Glee ist eine US-amerikanische Musical–Comedy–Fernsehserie, die sich Annina stundenlang auf ihrem PC anschaut und dazu mitsingt. Sie träumt dann davon nach New York zu gehen, weil sich die Geschichte scheinbar da abspielt. Wenn ich ihr sage, dass das nur ein Film ist und virtuell, dass sie die Schauspieler in New York nicht einfach auf der Strasse treffen kann und dass sie doch die Chance gehabt hätte, eine eigene Karriere als Schauspielerin und Sängerin zu machen, fährt sie mir über den Mund: „Mami, hör uuf, biiiiittteee!“
Vielleicht ist das die verlockende Komponente von Tagträumen: Man darf sie träumen, aber muss dazu nichts tun. Man kann schwärmen, wie schön es wäre, könnte man, aber sie sind meist so abgehoben, dass sie für uns unerreichbar bleiben und das ist wohl gut so, denn sonst müssten wir in Aktion treten und das ist anstrengend.
So verhält es sich wohl mit meiner Tochter. Die Umsetzung, Sängerin und Schauspielerin zu sein im richtigen Leben ist ihr wohl zu anstrengend. Auf der richtigen Bühne will sie nicht stehen und die harte Probenarbeit schon gar nicht auf sich nehmen. Zudem ist Hora nicht Glee.
Manchmal mache ich mir ein paar Sorgen, dass sie sich in diesen Traumwelten verlieren könnte. Zu gern bleibt sie einen ganzen Tag in ihrem Zimmer, mit Glee. Doch die Gelegenheiten dazu sind glücklicherweise beschränkt und darum lasse ich sie. Ich bin ihre Mutter, nicht die Hüterin ihrer Träume….
……und irgendwann wird es Montag- oder Dienstagmorgen und Annina muss um 8.18 auf den Zug, der nicht fahren soll. Ich frage nach, er fährt, er hält in Wiedikon, weitere Ausflüchte sind zwecklos. Ich umarme sie, sage ihr, dass ich an sie denken werde, dass nicht jeder Tag der beste sein kann, aber dass sie das schaffen kann und dann lass ich sie ziehen. Weg von mir, weg von den Träumen, hin ins manchmal harte, kalte Leben. Aber wie gesagt, schon morgen kann die Sonne scheinen.
….. und vielleicht, wenn sie älter und reifer ist, können die Tagträume zu Visionen werden, die sich umsetzen lassen.