Trauer braucht keine Begründung

Gestern war ich mit meiner Tochter im Kino: Honig im Kopf. Zuhause hat sie geweint, weil ihr Grossvater schon tot ist. Sie hat ihn nie gekannt, denn er ist gestorben als Anninas Vater sechzehn war. Dann fand sie, sie sei wohl eher traurig, weil der Udo Jürgens gestorben ist. Obwohl sie nie seine Musik gehört hat. So lag sie auf dem Sofa und heulte und schluchzte vor sich hin wegen all der toten Grossväter, die nicht die ihren waren, vielleicht auch wegen dem Lebenden, den sie kaum sieht.

Ich habe sie gehalten und sie getröstet in ihrer Trauer. Die Toten, die sie beklagt und dies nicht das erste Mal – manchmal ist es auch die verschwundene Katze oder der vor Jahren verstorbene Hund – dienen ihr wohl als Stellvertreter für ihren eigenen Schmerz, den sie nicht ausdrücken kann. Schmerz darüber, dass sie nicht wie andere sein kann, dass sie nicht Sängerin werden und bei Voice of Switzerland mitmachen kann, dass sie sich im Theater Hora, ihrer einzigen Chance, die sie diesbezüglich hat – wie wir ihr das ständig einbläuen –  nicht integrieren kann, darüber dass auch sie versucht zu gefallen und auch zu rebellieren und ihr das Kritik einbringt und vielleicht vor allem darüber, dass sie jetzt eigentlich erwachsen ist und doch nicht wirklich selber über ihr Leben entscheiden darf und kann.

Das habe ich jetzt begriffen. Uns alle würde solches wohl in eine Krise führen, die sich gewaschen hat.

Darum werde ich sie nicht mehr davon abbringen wollen, versuche sie nicht davon zu überzeugen, dass sie nicht trauern muss um einen nie gekannten Grossvater oder ihren Kater Nemo, der schon zwei Jahre weg ist. Ich nehme sie ernst in ihren Gefühlen, auch wenn ihre Begründungen dafür nicht einleuchtend sind. Das müssen sie auch nicht!

Sie empfindet Schmerz und Trauer, so dass sie weinen muss. Ich bin ihre Mutter und tröste sie dabei. Menschen brauchen keine plausible Begründung um in ihrer Trauer anerkannt und begleitet zu werden. Wir dürfen nicht werten und richten über die Gefühle anderer Menschen. Die Trauer braucht einen warmen Platz, so kann Heilung geschehen!