Was Kinder ihren Eltern schulden

Was sind wir unseren Eltern schuldig?

Eben lese ich das neue Buch von Barbara Bleisch, „Warum wir unseren Eltern nichts schulden“.

Ich bin Tochter und ich bin Mutter. Darum interessiert mich das Thema von zwei Warten aus.

Wer urteilt über diese Schuld, die wir haben sollen? „Urteil“ tönt schon so absolut und nach Gericht, wie „Schuld“ im familiären und emotionsgeprägten Umfeld sehr schwer und widersprüchlich daherkommt. Das Infragestellen dieses gebräuchlichen Vokabulars zielt schon auf die Freiwilligkeit und das Wollen hin, das ich für dieses sehr moralisch behaftete Thema als gegeben voraussetzen möchte. Familie ist grundsätzlich kein Geschäft.

Kümmere ich mich um meine Eltern, pflege ich den Kontakt aus freien Stücken heraus, weil ich es möchte und mich dabei gut fühle? Oder tue ich es aus einem Gefühl der Schuld heraus, weil ich eben meine, es meinen Eltern zu schulden? Oder weil sie mir diese sogar zuweisen?

Wenn man bei der gebräuchlichen, doch nicht adäquaten Terminologie bleiben möchte, könnte man dann aber auch geltend machen, dass wir dieses Geben von Zeit, Aufmerksamkeit und Liebe nur verschenken können an jemanden, der es auch verdient hat.

Nur der Umstand – so auch Bleisch – dass meine Eltern mir das Leben schenkten, heisst noch nicht, dass ich dafür dankbar sein muss, denn schliesslich hat mich niemand gefragt ob ich überhaupt geboren werden will, schon gar nicht ob mir diese Eltern gefallen. 

Ich wage zu behaupten, dass Beziehungen von Erwachsenen, per se auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruhen sollten und darum auch die Frage ob ich mich um meine Eltern kümmern muss.  Sicher gibt es so etwas wie eine moralische Verpflichtung, die wir aber auch freiwillig eingehen, weil sie auf Gegenseitigkeit beruht, wenn auch nicht immer auf Gleichzeitigkeit: Ich habe als Kind so viel an Pflege, Aufmerksamkeit, Ermunterung und Liebe empfangen, dass ich das meinen Eltern im Alter in irgendeiner Form zurückgeben kann und will.

Im Gegenzug zu meinen, sind aber die Zuwendungen der Eltern an ihr Kind wirklich geschuldet, denn wie schon erwähnt, war es ihre Entscheidung dieses Kind zu zeugen und auszutragen, und daher wäre es auch ihre Pflicht dafür gut zu sorgen.

Jedes Kind sollte von seinen Eltern bedingungslos geliebt werden. Eine Utopie? Manchmal scheint es mir so. Wir dürfen uns auf jeden Fall nichts vormachen: Was wir erfahren haben ist internalisiert und wir geben es – wenigstens teilweise – weiter. Selbst wenn wir sehr reflektiert sind, fallen wir, zum Beispiel unter Stress, in erlernte Muster zurück. Welche Mutter und welcher Vater ist nicht manchmal gestresst. Also machen wir Fehler und sind nicht immer imstande unseren Kindern diese bedingungslose Liebe zuteil kommen zu lassen, auch wenn wir uns das geschworen haben, weil wir es ja besser hinbekommen wollten als unsere Eltern. Einige dieser Verfehlungen sind entschuld- und verzeihbar. Gesegnet ist, wer ein solches Einsehen hat und die Stärke, seine Kindern um Verzeihung zu bitten. Wenn es nötig und möglich ist Frieden zu schliessen, auch noch in späten Jahren, kann eine Basis des Verstehens, des Verzeihen und eben schon erwähnter Freiwilligkeit geschaffen werden.

Oft werden bei Kindern, vor allem bei Mädchen, die Schuldgefühle von klein auf konditioniert. Man soll sich kümmern, obwohl man missachtet wurde, vielleicht sogar gequält, obwohl sich vielleicht niemand gekümmert hat. Impft man einem Kind diese Forderungen genug früh ein, bleiben seine inneren Kontostände immer im Minus und das Soll kann nie erfüllt werden, weil da ein Empfänger oder „Gläubiger“ ist, dessen Rachen alles verschlingt ohne dass sein Hunger je gestillt ist. So cummulieren sich die Schuldgefühle und setzen sich fort, wird man Mutter. Die mahnende Stimme ist interniert im Selbst und lässt auch die Schuld den Kindern gegenüber wachsen und wachsen. Wieviel davon ist berechtigt? Wie sehr hindern uns diese daran in den Flow des freiwilligen und liebevollen Geben zu kommen? Sehr!!

Natürlich sind Schuldgefühle nicht nur den Frauen vorbehalten und sie sind auch nicht in jeder Familie ein Thema.

Es gibt viele Sichtweisen, philosophische Betrachtungsweisen und Erklärungen, die auch Barbara Fleisch in ihrem Buch einnehmen und darlegen wird.

Im Endeffekt, so denke ich, zählt aber der entspannte, auch freiwillige und liebevolle Umgang mit dem Geben. Selten sind Menschen so heilig und selbstlos, dass sie geben können ohne je empfangen zu haben. Vielleicht haben sie es gar nicht gelernt. Irgendwo muss wohl ein ausgleichender Faktor spielen, der sich rechnet aus dem Grad an Autonomie und Selbstbestimmung, gepaart mit Zuneigung und Mitgefühl, die wir empfangen durften und auch an Dankbarkeit, den wir unseren Eltern gegenüber dafür empfinden.

Wenn wir die Bereitschaft haben unseren Eltern etwas zurückzugeben von dem Guten, das sie uns zukommen liessen und/oder fähig sind ihnen die Fehler, die sie begangen haben zu verzeihen, dann sind wir sicher auf gutem Wege und auch versöhnt mit uns selbst.  Das Geben wird freiwillig und muss sich nicht Forderungen beugen, sondern nur dem eigenen Einschätzen und den eigenen Grenzen.

Dann kann es auch wirklich von Herzen kommen und das ist es, was wir doch alle wollen.

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