Welt-Down Syndrom Tag: Lebenslange Begleitung

Heute ist Welt-Down-Syndrom-Tag! Und schon im Vorfeld fand man im Netz Posts von den süssen kleinen Trägern des zusätzlichen Chromosom 21. Der Jö-Effekt ist für einmal sicher. Der sei einem sowieso garantiert mit einem solchen Kind, meinte jüngst ein Bekannter von mir. Das hat mich emotional sehr empört, bevor ich mir bewusst wurde warum. 

Ich bin als Mutter empört über eine solche Aussage eines Mannes, der kein Kind mit Down Syndrom hat. Wenn alles so niedlich wäre, dann würden nicht die meisten Eltern ein Kind mit Down Syndrom gerne verhindern, sprich abtreiben wollen. Dann wäre pränatale Diagnostik in diesem Zusammenhang kein so heisses Thema.

Ich wäre wohl auch empört über die Aussage, wenn der Jö-Effekt eines meiner Normalkinder beträfe und dazu diente meine Aufgaben und Verantwortungen, die ich als Familienfrau habe, zu verniedlichen. „So herzig, das Kleine, da kann doch nichts so schwierig sein!“

Seien wir ehrlich, ein niedliches Kind schmälert die Aufgaben und Anforderungen an uns Erziehungs- und Betreuungspersonen nicht im geringsten. Liebe und Freude können uns unsere Verantwortung leichter tragen lassen. Haben tun wir sie trotzdem, tragen kann sie niemand anders für uns und leicht sind sie wirklich eher selten.

Süsse Kinderlein sind ein gutes Werbemittel. Warum soll man das nicht nutzen um für eine gute Sache zu werben. Doch die kleinen Wonneproppen werden grösser, irgendwann und unaufhaltsam, und damit wachsen auch die Aufgaben. Sie verändern sich zumindest.

Was Kinder einem abverlangen und auch welche Freude sie einem bereiten, das wurde oft genug gesagt. 

Ja, auch ein normalbegabtes Kind kann uns fordern. Trotzdem darf man an diesem speziellen Tag den Hut ziehen vor all den Müttern und Vätern, die ein Kind mit einem Down Syndrom aufzuziehen und begleiten.

Ich gehöre auch dazu. Und ja, ich klopfe mir heute gerne anerkennend auf die Schulter. 

Meine Tochter ist im Februar 23 Jahre alt geworden. Sie ist kein Kind mehr – immer öfter wenigstens. Ganz erwachsen, total unabhängig und in jeder Situation zurechnungsfähig wird sie wohl nie sein. 

Als Kind war sie wirklich sehr pflegeleicht und der Jö-Effekt war uns oft sicher. Ich habe sie überallhin mitgeschleppt und sie war immer dabei, sass an einem ihr zugeteilten Plätzchen, spielte mit Klötzchen, schaute Bilderbüchlein an, schaute mir zu, was immer ich zu erledigen hatte und wartete bis Mami fertig war. Ich hatte Glück und dazu zwei wilde Jungs, die mich umso mehr forderten.

Doch bin ich mal ganz ehrlich mit mir, dann hat es mich doch sehr viel Einsatz gekostet, zweimal die Woche mit meinem Mädchen in die Therapie zu fahren, sie zwei Jahre lang tragen zu müssen, weil sie spät laufen lernte, sie bei Wanderungen und langen Spaziergängen weiterhin in einem Jogger-Buggy herumzustossen, weil sie nicht so kräftig auf den Beinen war wie ihre Brüder, sie in den Regelkindergarten zu integrieren und nachher in die Schule. Unzählige Gespräche habe ich geführt und führe sie noch um meinem Kind eine möglichst gute Förderung zukommen zu lassen. Wenn die Präsenzzeit an der Schule eine Qualifikation gewesen wäre, hätte man mich gut als zusätzliche Lehrperson einstellen können. Natürlich ist der Job unbezahlt!

Aber irgendwie fühle ich mich schlecht und es nagt an meinem Gewissen, wenn ich aufzähle, was alles schwierig war. Schliesslich liebt man sein Kind und in den meisten Fällen haben sich Eltern von speziellen Kindern sehr gut mit ihrer Situation arrangiert. Dazu gehört – für mich jedenfalls – das Leben mit diesem Kind als Normalität zu sehen.

Was man dieser Tage auf keinem „schnüsigen“ Post sieht, sind Pubertierende oder junge Erwachsene mit Down Syndrom. Dazu müsste man sich schon eine Vorstellung des Theater Horas reinziehen, was ich sehr empfehlen kann. Da fällt es einem dann wie Schuppen von den Augen und man realisiert – was man eigentlich auch wissen sollte: Die können ziemlich eigensinnig sein, die jungen Leute!

Ja, ja, übrigens auch die Normalos im jugendlichen Tanz der Hormone. Nur kann man die zur Verantwortung ziehen. Die müssen lernen ihr Tun zu reflektieren und dazu halten wir ihnen den Spiegel hin, setzen Grenzen ….. verzweifeln auch da manchmal. Aber irgendwann blitzt der gesunde Menschenverstand durch und erleuchtet unsere jahrelangen Mühen und Kämpfe. Irgend etwas ist wohl hängen geblieben und ein Weg zeigt sich, der von dem Kind begangen werden will, das oft so gar nichts hört, und uns ebenso wenig gehört. Dann ist der Zeitpunkt gekommen: Wir dürfen, ja müssen loslassen, die Kinder ziehen lassen und uns auch freuen, dass sie einen eigenen Weg ins Leben gefunden haben.

So, wenn alles einigermassen gut läuft.

Mit einem speziellen Kind läuft es nie so. 

Natürlich ist es dieselbe Richtung, die wir ansteuern. Ich sage bewusst WIR, weil die mütterliche oder väterliche Begleitung auf diesem Weg viel länger dauert, auf diesem Weg, der dann doch der unserer Kinder sein soll.

Da sind so viele Fragen: Mach ich es einigermassen gut? Was würde meine Tochter tun und wollen, könnte sie frei entscheiden?

Und dann ertappe ich mich wieder dabei, wie ich ihr Vorträge halte über optimales Styling, über Ernährung und Körperpflege, darüber wie sie einfacher einen Freund finden kann, dass man bei der Arbeit konzentriert sein und die Pausen und Arbeitszeiten einhalten muss,…… und so weiter und so weiter. Meine Tochter sagt dann jeweils: Ja, Mami! Und ich bin mir nicht so sicher ob sie verstanden hat, was ich meine. Sicher ist, dass sie mich nervig findet.

Der geneigte Leser sieht: Die Herausforderungen sind irgendwie für alle dieselben und doch nicht. Nie wird sie ganz auf eigenen Beinen stehen. Wenn es gut kommt, kann sie eines Tages auf einer Aussenwohngruppe leben, die nur teilweise betreut ist. Nie wird sie ihren ganz selbst gewählten Weg alleine gehen können. Immer wird sie gewissen Einschränkungen unterliegen, den eigenen kognitiven und den daraus entstehenden. Sie wird davon abhängen, was Betreuungspersonen, Eltern und Beistände ihr zugestehen. Natürlich gibt es einen gesetzlichen Rahmen. Der ist schon viel weiter als auch schon und hat durchaus seinen Sinn. Trotzdem hängt sie bis zu einem gewissen Grad von den Personen ab, die sie begleiten.

In diesem Rahmen können Menschen mit Down Syndrom ein teilweise selbstbestimmtes Leben führen. Dahin begleiten sie im besten Falle all die Mütter und Väter, die mit einem so speziellen Kind gesegnet wurden – ein Leben lang!

Dafür haben diese zumindest ein Schulterklopfen verdient. 

….. und diese fröhlichen, direkten, liebenswerten und speziellen Menschen mit dem zusätzlichen Chromosom einen festen Platz in unserer Mitte!

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