Wer ist schon Luca Hänni?

Nach der Schwüle folgt die Kühle! Ich bin froh. Es geht mir besser. Ich kann wieder schlafen. Heute sogar bis – ja ich wage es im Land der Frühaufsteher kaum zu sagen – zehn Uhr! Wohlig aneinandergekuschelt lagen wir friedlich krösend in unserem Bett. Doch einmal auf die Uhr geschaut, springt mein Liebling behende aus unserem warmen Nest und wieselt geschäftig einen Stock tiefer. Sein guter Ruf als Lerche ist in Gefahr!
So liege ich nun noch alleine da, döse vor mich hin und nehme in Gedanken Abschied vom Sommer und auch von meiner Tochter, die ich heute in die Stöckenweid bringen muss. Morgen fängt auch ihr Arbeitsalltag wieder an. Sie wird ab jetzt täglich Schoggi oder sonstwas einpacken und ich bin immer noch nicht überzeugt, ob das für sie sehr befriedigend sein wird.
Vor ein paar Tagen habe ich noch den Abschlussbericht vom Hora bekommen. Er war erschütternd schlecht. Ich musste ihn schnell weglegen und mich mit der Aussicht auf einen neuen Lebensabschnitt für Annina trösten. Nach Vorne schauen!

Zudem kann ich nicht leugnen, dass sich in mir auch eine gewisse Erleichterung ausdehnt. Ich bin nicht mehr für Anninas Tagesprogramm verantwortlich. War ich das? Ich habe mich verantwortlich gefühlt und in meinen Augen versagt. Ich habe mich gestresst damit in diesen Ferienwochen, wollte, dass sie Spass hat, sich gut erholen kann und auch etwas erlebt. Ich glaube, das ist mir nicht gelungen. Zum Einen, weil ich auf gewisse Aktivitäten, wie in einer überfüllten Badi zu liegen einfach gar keinen Bock hatte, zum Anderen, weil auch Annina so einiges sabotiert hat. Oft wollte sie lieber in ihrem Zimmer bleiben um abzuhängen und ihre Youtube-Musikfilme zu schauen, als mit mir Schmetterlinge in einer Ausstellung zu besichtigen oder was auch immer ich mir „Tolles“ ausgedacht hatte in meinem hilflosen Bemühen um spannende Aktivität. Während ich mich dann jeweils halb erleichtert der schon lange drängenden Buchhaltung widmete, sind Anninas Luca Hänni-Träume richtig schön aufgelebt und sie war dementsprechend demoralisiert. Zum ersten Mal habe ich aus ihrem Mund gehört, dass sie nicht speziell sein möchte. „Ich will dieses Down Syndrom weg haben!“ ….. und mein Mutterherz blutete.
Wenn sie von zuhause alleine an den Hauptbahnhof fahren will, dann weiss ich, dass sie das bewerkstelligen kann. Wenn sie dort aber auf Luca Hänni warten will, der bestimmt nicht kommen wird und wenn auch, sie sicher nicht beachten würde, dann muss und will ich sie vor dieser Enttäuschung schützen. Zudem will ich auch nicht, dass sie da möglicherweise stundenlang alleine rumhängt. Meine Tochter findet mein Verbot das Letzte, weint und will dann gar nichts mehr. Schliesslich ist Luca Hänni ihr Freund – auf facebook!
So funktioniert die Traumwelt. Sie schliesst sich wieder in ihr Zimmter ein und ich lass sie.

Haben wir das nicht auch durchlebt in diesem Alter? Ist es für sie wirklich so anders, so viel schwieriger?
„Ruf doch eine Freundin an, Annina.“ Sie will nicht. Die hat auch ein Down Syndrom. Damit will sie momentan nichts zu tun haben. Hmmm, schade, denn sie haben es doch untereinander immer lustig. „Oder geh doch mit Lukas ins Kino.“ Das will sie schon gar nicht. Er will ihr Freund sein und sagt immer „Schatz“ zu ihr. So süss, finde ich, so mühsam, sie. Der Wunsch nach einem Freund ist gross, doch die Vorstellungen, wie er sein muss hochgegriffen. Auch hier ist das Down Syndrom ein Stigma.

All dies liegt nicht wirklich in meinem Einflussbereich. Ich kann sie ein wenig trösten, wenn sie traurig ist und hadert. Alles von ihr fernzuhalten, geht nicht. Dass ich sie heute auf ihre Wohngruppe bringen kann ist eine Erleichterung. Ich kann damit auch meine Trauer über ihre momentanen Schwierigkeiten sich im Leben zurecht zu finden, abgeben. Ich lass wieder einmal los.
Oft geht es ihr dann auch wieder besser, weil sie mit Jugendlichen zusammenwohnt und -arbeitet, die Ihresgleichen sind.
Ich bin nicht mehr Projektionsfläche für ihre Ablösungsbestrebungen. Diese sind ja normal, aber voll anstrengend.

…. und nächstes Mal organisiere ich für sie ein Lager, wo sie Spass unter Ihresgleichen haben kann ohne an unerreichbare Normalo-Stars zu denken. Pffff….. Luca Hänni! Wer ist schon Luca Hänni?