Auch die Schattenseiten dürfen mit

Wenn ich in fremden Betten schlafe, träume ich manchmal noch abstrusere Dinge als in meinem eigenen. Momentan steht mein Bett in einem Riad in Fez. Es ist ein wirklich beeindruckendes Teil, dieses Bett, bequem und mit vielen Kissen bestückt. Man freut sich darauf, sich niederzulegen, zu lesen und dann ….. zum Beispiel zu schlafen. Eigentlich sollten sich hier Träume aus Tausend und einer Nacht abspielen. Aber nein, ich träume ausgerechnet hier von meiner ehemaligen Schwiegermutter, nichts Schlimmes zum Glück, eigentlich nur, dass eines meiner Kinder bei ihr war zum Hüten. Sie wohnte am See und sie kam mit dem Kleinen vom Baden. Er war nackt und rannte in der Wohnung herum, und das war auch schon das ganze Geschehen. Ich wachte auf und war traurig. Warum? Weil er im Traum so unschuldig und klein war und in Wirklichkeit schon zwanzig ist und ich ihn nicht mehr nackt herumrennen sehen kann und ihn auch nicht mehr auf den Arm nehmen könnte, – weil es eine so schöne Zeit war, jetzt im Rückblick.

Da wurde mir – nicht zum ersten Mal – klar, dass die Trauer davon kommt, dass ich damals die Zeit oft nicht so schön fand, dass ich gestresst war, nicht immer ganz bei der Sache, mehr Zeit für mich selber gewünscht habe und so manches mehr. Die Liste liesse sich leicht verlängern. Jede Frau und Mutter würde noch ein paar Punkte kennen, die anzufügen wären.

Damals schon wissend, dass die Zeit die Eigenschaft hat einem durch die Finger zu rinnen, habe ich es oft nicht auf die Reihe gekriegt, sie nur zu geniessen, mich ganz der Freude über meine drei kleinen Menschenwunder, die ich geboren habe, hinzugeben. Ich sehe im Geiste schon der Leserin Kopfschütteln über diesen Anspruch – völlig berechtigt. Verstehe ich, versteht sich. Es ist nicht zu schaffen.

Sind die Kinder gross und selbständig und ist endlich genug Zeit für mich und meinen Gefährten, dann tun sich manchmal an unerwarteter Stelle diese Löcher auf und die Melancholie quillt heraus und flutet meine eben noch heiteren Seelenlandschaften. Dann möchte ich so gerne die Zeit zurück drehen und nur noch einmal meine Kleinen auf dem Arm nehmen und sie mir auf die Hüfte setzen. Ich möchte nochmals erleben wie sich das Stillen anfühlt – ich erinnere mich noch gut – noch einmal diese unschuldige Liebe schauen, die mir aus den Augen meiner Kinder entgegenblickt. Es wäre so schön nochmals mit ihnen durch den Wald zu streifen und mir alle Zeit zu nehmen um sie darin zu unterstützen diese Welt für sich zu entdecken. Natürlich dürfte ich mitzuatmen und wäre überhaupt nicht ungeduldig oder genervt, auch nicht gestresst, weil noch so viel anderes erledigt werden muss. Das könnte alles warten!

Und während ich solches schreibe kommt mir das grosse Heulen, weil ich es doch besser weiss. Ich würde es wieder nicht können, nicht so entspannt und voller Freude und nur Liebe und Lachen und Spass. Denn auch die Kinder sind nicht immer nur Freude und Neugierde und Liebe und Spass und darum ist es nie NUR so. Nur manchmal. Dieses MANCHMAL, diese absoluten, perfekten Momente, die möchte ich wieder aufleben lassen. Und weil sie mir im Rückblick so voller Glück und einfach vollkommen erscheinen, meine ich, ich hätte sie festhalten müssen, hätte mich anders verhalten sollen um mich mit meinen Kindern immer in einem Zustand der Glückseligkeit zu bewegen, in dieser Blase des Glücks! Klar doch.

Langsam trocknen meine Tränen und die Vernunft stupst mich leicht an.

Ok, ich schwelge in Erinnerungen, bin gerade ziemlich sentimental und die Zeit aufhalten oder zurückdrehen geht nun mal nicht. Man stelle sich das auch vor, wenn die Hälfte der Menschen immer gerade nicht anwesend ist, wenn wir sie ansprechen, sondern irgendwo in der Vergangenheit hocken um ihre Babies nochmals zu wiegen. Geht gar nicht! Der Lauf der Dinge würde ständig neu geschrieben, weil immer wieder Welche zurückgingen um allfällige Fehler zu beheben. Die Erde und die Menschen gerieten arg durcheinander.

So, nun habe ich mich lange genug durch diese retrospektiven Gefühlsduseleien geschwurbelt um jetzt doch noch in diesem Tag anzukommen und ein paar Pläne in dieser marokkanischen Wirklichkeit zu fassen. Die Vergangenheit und die schönen Erinnerungen sind ein Schatz, der uns auch im Diesseits begleitet, als Erlebtes, das uns ausmacht, als innerer Reichtum. Darum versuche ich ihn liebevoll zu hegen und voller Stolz zu tragen.

Auch die Schattenseiten dürfen mit!

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Simone
Simone
25. Mai 2015 17:05

In der Erinnerung ist vieles perfekter, als es wirklich gewesen ist. Ich glaube, Erinnerungen sind die persönliche Quintessenz einer gewissen Zeit/Begebenheit und nicht wirklich real. So können zwei Menschen diametral verschiedene Erinnerungen an eine gemeinsam erlebte Sache haben. Trotzdem ist es schön, in Erinnerungen zu schwelgen. Man sollte sich nur nicht zu sehr davon beeindrucken lassen, sonst nimmt die Gegenwart Schaden, welche ja nichts anderes ist, als die Fabrik der nächsten Erinnerungen.
Viele schöne Momente mit den grossen Kindern!

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