Soll ich – oder soll ich nicht? Muss ich mich jetzt noch für die Interessen anderer engagieren oder lass ich es dabei bewenden? Soll ich dieses Verhalten auf uns sitzen lassen? Schreibe ich einen Brief an die Geschäftsleitung des Horas, haue jetzt so richtig mächtig auf den Putz und riskiere dabei auch noch so einiges abzubekommen? Schreibe ich diesen offenen Brief und verbaue damit Annina eventuell jede Chance jemals wieder bei Hora einzusteigen? Ich bin unsicher. Ich will kein Feigling sein. Schulde ich meiner Tochter, dass ich den Mund aufmache und das Unrecht öffentlich mache? Renne ich damit gegen verschlossene Türen und hole mir unnötig Beulen ohne etwas zu bewirken? Ist das nur wieder meine Angst anzuecken? Ja, gut möglich, und ich scheue den Aufwand und das Nachspiel.
Ich gebe es zu! Was bringt es? Kann ich etwas verändern?
Annina wird nach den Sommerferien woanders arbeiten. Für sie hat sich der „Fall“ vorerst erledigt und sie denkt sicher auch nicht mehr darüber nach. Sie ist jetzt in den Ferien und beschäftigt sich damit, was wir mit ihr unternehmen. Was vor einer Woche war ist für sie schon längst Schnee von gestern.
Und da ist noch etwas anderes, das mich beschäftigt. Auch wenn dies jetzt aufgesetzt edel tönt, habe ich Skrupel diesen Ausbildungsleiter von Hora, diesen Menschen, öffentlich oder an den besagten Stellen zu diskreditieren. Zudem weiss ich, der hat grad ein Päckchen zu tragen. Einen Teil seines Jobs macht er auch wirklich gut, und der ist nicht leicht zu machen und sicher mies bezahlt. Theater und Theaterleute sind in der Schweiz meistens nicht auf Rosen gebettet. Das weiss man ja.
Zu viel Empathie kann auch einen Schuss in den Ofen bedeuten, hat mir letzthin jemand gesagt. Stimmt und ich ziehe ja die Möglichkeit in Betracht, dass diese hier auf meinem mangelnden Mut oder zu wenig Antrieb beruht.
Doch die Zeichen sind bei diesem Gespräch gesetzt worden, von Anninas Beiständin und von mir. Vielleicht hat es schon andere solche Begebenheiten gegeben. Irgendwann muss sich im Kopf dieses Mannes etwas tun. Ansonsten wird die Zeit es richten. Irgendwann wird es wieder Schwierigkeiten geben und irgendwann wird die Häufigkeit der Wiederholung darauf hinweisen, dass gewisse pädagogische Grundsätze überdacht oder schlichtweg aufgestellt werden müssen, weil sie fehlen.
Und wenn nicht? Das will ich jetzt verdrängen, in die Ecke stellen zu all den unmöglichen Lehrern und Lehrmeistern, die ihr Unwesen treiben. So einige von ihnen sind fachlich gut, nur menschliche Nieten. Einige werden gehasst, aber man lernt halt doch viel bei Ihnen. Und seien wir ehrlich, was wären wir ohne diese Erfahrungen? Sie gehören zu unserem Leben dazu und je besser wir damit umzugehen lernten, desto stärker sind wir möglicherweise daraus hervorgegangen. Möglicherweise!?
Oder haben uns diese Lehrer daran gehindert aus unserem Vollen zu schöpfen, weil wir vor lauter Angst vergessen haben, was wir können? Ja, auch!
Ich habe meistens gelitten und konnte und kann nichts Gutes daran finden, junge Menschen einzuschüchtern. Aber es war zugegebenermassen auch nicht immer einfach mit uns Teenagern!
Ich kann es drehen, alles auf den Kopf stellen, nochmals wenden und werde einmal mehr darüber belehrt, dass jede Sache viele Seiten hat. Klar auch, dass ich für mich, die herauspicke, die mir am besten gefallen oder am angenehmsten erscheinen.
Darum entscheide ich mich jetzt dafür keinen Kampf zu eröffnen für eine Sache, die schon abgeschlossen ist und die ich jetzt mehrheitlich für andere durchstreiten würde, die solches von mir gar nicht wollen. Ich gebe die Energie ins Universum und hoffe, dass der Betroffene von ihr erreicht wird und vielleicht nochmals über seine Bücher geht.
Manchmal lernen wir etwas, auch wenn es uns noch nicht bewusst ist.
Ich hoffe wie immer auf den besten Fall und auf wenig Schaden!