Wie können wir unsere speziellen Kinder im Erwachsenenleben begleiten?
Keine einfach und pauschal zu beantwortende Frage.
Ich erinnere mich an das Gefühl der Erleichterung als meine Jungs „endlich“ erwachsen waren und ich ihnen die Verantwortung für sich selber ganz übergeben konnte. Dies – folgerichtig – nach einer turbulenten Zeit der pubertären Ablösung. Da habe ich gerne mal losgelassen und mich in Vertauensräume begeben um mir so vieles von den Schultern zu schütteln. Die Verantwortung für ihr Leben gab ich fortan in ihre Hände. Manchmal kann ich es mir immer noch nicht verkneifen, einen Rat zu geben, aber meistens geht die Loslassnummer gut auf. Ich hab’ die Kinder schliesslich erzogen, so dass sie wissen wie eigenständig leben geht. Dazu kommt der menschliche Instinkt, der aller Lebewesen, flügge zu werden.
Die Sache wird komplizierter, wenn es um unsere behinderten Kinder geht.
Meine Tochter wollte schon mit 17, also schon vor ihrer Volljährigkeit ausziehen, in eine Wohngruppe, als erstes meiner Kinder! Ich hab ihren Wunsch respektiert und mich für dessen Verwirklichung verwendet. Ihre Brüder haben sich freigestrampelt, wie das so üblich ist. Sie benötigte dabei Hilfe, die ich ihre gewährte. Persönliche Animositäten hatten da, meiner Meinung nach, keinen Platz.
Die Tage vor ihrem Auszug waren sehr hart für mich. Sie hat sich kindlich gefreut.
In der Pubertät scheint sie erst jetzt so richtig zu sein mit dreiundzwanzig, und diese will wohl endlos dauern! Ich wollte ihr Selbstbewusstsein vermitteln und habe sie darin bestärkt, zu äussern, was sie will. Als Erwachsene dürfe sie selber entscheiden!
Per Erwachsenenschutzgesetzt wird ihr freier Wille hoch eingeschätzt.
Ob sie es wirklich kann? Für sich selber entscheiden? Diese Frage stellt sich mir immer wieder.
Und so zerbreche ich mir weiterhin den Kopf, welches der richtige Weg ist um meine Tochter zu begleiten.
Was kann sie ganz selbst entscheiden? Wo sollte ich Einfluss nehmen und wieviel?
Per Gesetz ist sie, seit sie 18 ist, erwachsen. Wie alle anderen auch. Und sie hat das Recht selber zu entscheiden. Es gibt keine vollumfänglichen Vormundschaften mehr, nur Beistandschaften, die spezielle Menschen da unterstützen, wo sie Defizite oder Schwächen haben. Das ist gut und wahrt die Würde und fördert die Eigenständigkeit.
Trotzdem, manchmal ist es nicht einfach, Menschen in ihrer Eigenständigkeit zu unterstützen, die nicht immer die intellektuellen Möglichkeit haben ihr Handeln zu reflektieren, die sehr lustbetont leben, eben am liebsten nur tun wozu sie Lust haben, die Konsequenzen ihres Handelns aber kaum absehen können.
Das System der Beistandschaften steckt noch in den Kinderschuhen, Kritik an der KESB wird immer wieder mal laut. Die Idee dahinter finde ich aber eigentlich überzeugend.
Die Beistandschaft der Eltern oder eines Elternteils scheint mir oft sinnvoll, kennen wir doch unsere speziellen Kinder am besten und wissen wie sie ticken. Wie soll eine fremde Person das plötzlich abschätzen und gar Einfluss nehmen können?
Zudem weiss man, dass alles steht und fällt mit der Person, die dahinter steckt. Was wenn eine solche nicht das Beste für das eigene Kind tut? Wie kann sie wissen, was das Beste ist?
Also hab’ ich damals übernommen, wollte weiter begleiten wie bisher.
Ich musste die Beistandschaft meiner Tochter schliesslich einer fremden Person übergeben, weil der Vater meiner Tochter und ich uns oft uneinig waren.
Ich hatte Glück! Die Belohnung für Vertrauen und Loslassen? Auf jeden Fall haben sich meine Befürchtungen nicht bewahrheitet.
Die Beiständin meiner Tochter ist eine umsichtige Frau in meinem Alter, selber Mutter zweier Töchter, auch geschieden. Wir verstehen uns. Das scheint mir sehr wichtig. Sie kümmert sich vor allem um die Finanzen und redet mit bei Fragen der Ausbildung. Sie tritt nicht oft in Erscheinung und vieles entscheide ich immer noch direkt mit meiner Tochter.
Der Prozess des Erwachsenwerdens ist für spezielle Menschen und ihre Angehörigen manchmal eine Herausforderung, eine anspruchsvolle Aufgabe, die auch vom Gesetz nicht vollständig „gelöst“ werden kann. Was mir schwierig erscheint ist die Differenzierung davon, was sie selber entscheiden dürfen und können, und wo es wirklich sinnvoller ist unterstützend einzugreifen. Dies kann wohl gesetzlich nicht bis ins Detail geregelt werden. Mein „Du bist erwachsen und darfst selbst entscheiden“ erweist sich manchmal als Bumerang.
Wie lernt meine Tochter verstehen, dass sie nicht alles darf, dass man Rücksicht nimmt auf andere, bestmöglich auch auf die eigene Gesundheit, dass man sich nicht alles nehmen kann, was man will und nicht immer nur tut, worauf man Lust hat? Wer entscheidet dann und setzt Grenzen? Betreuer „dürfen“ per Gesetz oft nicht. Wer tut es dann?
Man sieht: Gesunder Menschenverstand und gute Zusammenarbeit von Eltern, Beiständen und Betreuern in Institutionen sind essentiell.
Und ja, es stimmt, es steht und fällt mit den Personen, die involviert sind.