Emma, Ronja und Leila sind drei Stadtmädchen. Sie besuchen zusammen die sechste Primarklasse. Seit der Mittelstufe sind sie Freundinnen und verbringen ihre freie Zeit, wenn möglich zusammen. Draussen herumrennen und Kinderspiele spielen ist langsam passé. Schliesslich sind sie schon zwölf und über diesen Kinderkram hinweg! – Meistens wenigstens.
Lieber treffen sich alle bei Emma – sie hat das grösste und coolste Zimmer mit einer Wahnsinnstapete, einem antiken verschnörkelten Metallbett und einer Sitzecke mit ganz vielen Kissen. Emma durfte sich die verschieden zusammengewürfelten Stoffe selber aussuchen und ihre Mutter hat daraus Kissen genäht. Wie cool ist das denn? Das Zimmer ist sehr hoch, weil Emma in einer Loft wohnt. Ihr Vater hat ihr eine Art Adlerhorst aus Holz eingebaut, wohin sie sich zurückziehen kann. Wenn sie die Leiter hochsteigt, ist es als ob sie auf einen Baum klettert und alles überblicken kann. Die Welt unter ihr wird dann klein und unbedeutend.
Es ist kurz vor Weihnachten und die Mädchen haben es sich in Emmas Zimmer gemütlich gemacht.
„Was wünscht Ihr Euch eigentlich zu Weihnachten?“ fragt Leila.
„Ich hätte sooo gerne einen Hund!“ ruft Ronja und bekommt bei dem Gedanken glühende Wangen. „Aber leider ist meine Mutter total dagegen. Sie ist bis drei Uhr nachmittags bei der Arbeit und glaubt mir nicht, dass ich über Mittag nach Hause gehen und nach dem Hund schauen kann.“
„Du gehst doch zum Mittagstisch.“ wirft Emma ein „und ihr habt doch zwei Katzen. Die mögen Hunde nicht.“
„Das ist nicht wahr. Man muss sie nur aneinander gewöhnen und dann klappt das schon. Aber meine Mutter hat einfach kein Vertrauen und auch keine Nerven seid sie wieder mehr arbeitet.“ Ronja verdreht die Augen.
„Mein Vater und vor allem seine Freundin wollen gar keine Haustiere haben. Die machen zu viel Dreck, sagen sie. Aber dass wir dann immer in unsere Handy und iPads glotzen, wie sie sagen, ist dann auch nicht recht.“ mault Leila.
„Also ich würde mir am liebsten viel Schnee zu Weihnachten wünschen.“ meint Emma nachdenklich. Dann könnte man Schneeballschlachten machen, Schlitteln gehen und die Stimmung wäre endlich mal weihnächtlich.“
„Ja, das stimmt. Schade kann man sich keinen Schnee wünschen. Auch keine Weihnachtsstimmung. Die muss man selber machen oder haben, aber wer kann das noch?“ fragt sich Ronja. „Mit einem Hund könnte ich wenigstens in den Wald spazieren gehen. Das wäre doch schon ein wenig weihnächtlich.“
„Wir stellen mit Mami immer so einigen Adventskram im Haus auf. Das ist schon stimmungsvoll. Früher hat sie mit uns sogar immer einen Adventskranz gebastelt, aber dazu hat sie jetzt keine Zeit mehr. Schade eigentlich!“ meint Emma nachdenklich.
Plötzlich steckt Emmas jüngere Schwester Anna den Kopf zur Türe herein. „Raus!“ ruft Emma. „Kann ich nicht auch zu Euch kommen, biiittteeee…?“ bettelt Anna.
„Nö – raus mit Dir!“ knurrt Emma.
„Komm, lass sie doch.“ beschwichtigt Leila.
„Ich hör auch nur zu – sicher!! Ich schwör’s! Mir ist sonst sooo langweilig.“ jammert Anna.
„Also gut, aber Du nervst nicht!“
„Nö – versprochen!“
„Wisst Ihr was?“ sagt Ronja nach längerem Nachdenken „eigentlich möchte ich wieder einmal so richtig Weihnachtsstimmung haben. Geschenke sind ja ok und ich wünsch mir schon so ein paar Sachen. Aber irgendwie liegt die Stimmung nicht nur an den Geschenken. Oder?“
„Du hast Recht. Das Wetter spielt auch eine Rolle…… und wie die anderen in der Familie, die Lehrer und auch die Leute auf der Strasse so drauf sind auch..“ sinniert Leila. „Leider haben alle immer Stress, gerade vor Weihnachten. Meine bisher schönste Weihnacht war als ich noch ganz klein war, vier oder so. Ich kannte das Wort Stress noch gar nicht und meine Eltern auch nicht. Papi und Mami waren noch happy zusammen und haben mir ein Puppenhaus gebastelt. Sie wollten es vor mir geheim halten und haben sich in der Küche eingeschlossen, damit ich nichts merke. Ich habe es natürlich trotzdem mitgekommen, das die etwas im Schilde führen. Aber es war so schön, es nicht genau zu wissen und sich auf die Überraschung zu freuen. In der Wohnung roch es nach Farbe und Leim und ich war einfach mega gespannt. Ich habe mich dann auch sehr gefreut über diese Puppenstube, die sie aus einer alten Apfelkiste gebastelt haben. Sie haben sie ganz weiss glänzend gestrichen und in vier Zimmer unterteilt: Eine Küche, ein Wohnzimmer und zwei Schlafzimmer, eins für die Kinder und eins für die Eltern. Die Möbelchen waren aus Styropor, das sie mit bunten Klebefolien bezogen haben. In jedem Zimmer gab es Lämpchen, die richtig brannten, wenn man einen Schalter kippte. An der Aussenwand hatte es eine Batterie, von der aus dünne, weisse Stromkäbelchen in jedes Zimmer gezogen waren. Ausserdem hatte es eine Türglocke. Vater, Mutter und zwei Kinder waren Holzfigürchen, die Mami bemalt hatte. Jedes hatte etwas anderes an, dazu ein Gürtelchen oder Kettchen, alles mit einem ganz dünnen Pinselchen bemalt.
Stundenlang haben sie gebastelt – nur für mich. Dazu hätten sie jetzt keine Zeit mehr! Niemand hat richtig Zeit für Weihnachten!“
„Das stimmt! Immer quatschen sie alle über die besinnliche Weihnacht, dabei haben alle immer Stress.“ wendet Anna ein.
„Du bist ruhig und hörst nur zu!“ wird sie sofort von ihrer Schwester ermahnt.
„Jaaa – sorryyy!“
„Lass sie doch. Sie hat ja recht.“ meint Ronja jetzt.
„Einmal, da hatte es richtig viel Schnee. Wir wohnten noch ausserhalb der Stadt. In der Nähe war ein Weiher, der manchmal im Winter zufror und auf dem man dann Schlittschuhlaufen konnte. Am Weihnachtsmorgen ist Papi mit mir und meinem Bruder durch den tiefen Schnee zu dem zugefrorenen Weiher gestapft. Alles war dick eingeschneit und die Äste der Bäume hingen tief von dem vielen Schnee. Es war sehr kalt und wir waren alle mehrschichtig eingepackt. Es war ganz still und ausser uns kein Mensch unterwegs. Meine Mutter war zuhause geblieben und bereitete den Weihnachtsschmaus vor. Alles war wie im Bilderbuch. Ich fand es sooo schön!“erzählt Ronja.
„Vielleicht ist es auch so, weil wir keine kleinen Kinder mehr sind.“ sagt jetzt Emma. „Wir sind ja schon fast erwachsen und glauben nicht mehr ans Christkind oder den Weihnachtsmann. Trotzdem hatte ich gestern schöne Vorfreude. Wir gingen mit Mami den Weihnachtsbaum kaufen. Das ist bei uns Tradition und es macht jedes Jahr Spass. Wir streiten manchmal um die Grösse oder welches der schönste Baum ist, aber eigentlich ist es immer lustig. Dieses Jahr konnten wir uns einfach nicht einigen. Schlussendlich haben wir drei Bäume gekauft. Ist doch witzig! Jetzt haben wir halt einen ganzen Wald.“
„Ja, das ist cool Emma. Es muss ja nicht alles immer wie früher sein.“ sagt Leila
„Aber man muss sich halt Zeit nehmen. Auch zum Basteln. Früher als wir kleiner waren haben wir für die Verwandten Geschenke gebastelt. Jetzt fehlt die Zeit dafür.“
„Basteln ist ja eigentlich auch ziemlicher Kinderkram.“ motzt Ronja.
„Ich hab es trotzdem gerne gemacht….. und dabei brannte eine Kerze am Adventskranz und es roch nach Tannadeln…..“
„….. und wir hörten Weihnachtslieder…“ erinnert sich Emma weiter.
„Ja, ja…… früher war alles besser. Wir sind erst zwölf und reden schon wie unsere Grosis!“ muckst Ronja auf. Sie ist die Wildeste der Drei und wird ihrem Namen durchaus gerecht.
„Wir könnten ja etwas dagegen tun. Wir könnten ja selber eine kleine Weihnachtsfeier organisieren, zum Beispiel Girls-Waldweihnacht oder so.“ schlägt jetzt Emma vor.
„Das ist eine gute Idee. Wenn sie uns lassen!?“ Leila ist skeptisch.
„Meinst Du dafür haben sie Zeit?“Ronja ist nicht überzeugt.
„Nächstes Jahr sind wir schon dreizehn. Wir können alles organisieren und unsere Eltern auch einladen. Dann lassen sie uns bestimmt.“ sagt Emma überzeugt.
„Und wenn es dann regnet? Ist ja auch nicht so weihnachtlich und ziemlich ungemütlich im Wald!“ Ronja ist nur schwer zu überzeugen.
„Ok, wenn es regnet ist es ungemütlich. Aber zum Beispiel im Nebel könnte eine Waldweihnacht auch schön und geheimnisvoll sein. Wir müssten eine schöne Tanne finden, die wir mit Kerzen schmücken können.“ Emma bleibt positiv.
„Woher nimmst Du den Strom?“ fragt Leila.
„Strom? Hast du schon mal von echten Kerzen gehört, so aus Wachs zum anzünden mit Streichhölzern?“ lacht Emma ein wenig spöttisch.
„Ja, genau! Das ist viel stimmungsvoller, wenn das Licht so leicht flackert. …. und das im dunklen, nebligen Wald.“ ergänzt Ronja und scheint jetzt auch Gefallen an der Idee zu finden.
„Wir könnten Lieder singen.“ schlägt Leila vor.
„Singen? Echt jetzt?“
„Ja, ja…. singen. Das finde ich schön!“ Anna ist begeistert und keines der Mädchen verbietet ihr den Mund. Im Gegenteil, sie lassen sich anstecken von der Begeisterung und Vorschlag über Vorschlag führt zu einem munteren Stimmengewirr.
„Also ich habe jetzt schon richtig schöne Weihnachtsstimmung und freue mich auf unser Weihnachtsfest im Wald“ lacht Emma. „Nächstes Jahr, am 23. Dezember, bevor alle Familienfeste starten! Abgemacht?“
„Abgemacht!“ rufen vier überzeugte Stimmen.