Zwei Wochen vor Weihnachten und unser Haushaltskonto macht schlapp. Gerade jetzt. Man möchte sich doch etwas gönnen, mal noch mit dem Liebsten schön Essen gehen, ins Thermalbad, so mit Massage, die Seele baumeln lassen und ein paar Geschenke kaufen. Vielleicht kommt dann auch endlich ein wenig Besinnlichkeit auf, so kurz vor den Festtagen. Die kommt mir immer mehr abhanden. Eigentlich spielt sie sich nur noch in meinen Erinnerungen ab und nie hat sie mit Konsum zu tun.
„Leise rieselt der Schnee. Still und starr ruht der See. Weihnachtlich glänzet der Wald. Freue Dich, s’Christkind kommt bald.“ Ja, Lieder haben mich begleitet, unterstrichen diese Kerzenlichterglanzstimmung im trauten Heim, wenn draussen der Schnee lag – oder eben nicht, weil es damals schon oft keine weisse Weihnacht gab. Darum ist mir diese eine Weihnacht besonders in Erinnerung geblieben. Es lag viel Schnee und war bitter kalt. Der Weiher in unserem Dorf war zugefroren. Am Morgen des 25. gingen meine Schwester und ich mit Vater Schlittschuhlaufen. Die Landschaft war still und menschenleer, eine feine Schneeschicht lag auch auf dem Eis und die Bäume hingen tief und schwer von der weissen Pracht. Friede und Freude erfüllte unsere Herzen und diese Andacht über diesem besonderen Moment, das war Weihnachten.
Im Advent haben wir unsere Kalendertürchen geöffnet, die kleinen Engelchen aufgestellt, mit Mutter gebastelt und Guetzli gebacken. Wir haben gespannt die Spielwarenkataloge erwartet und unsere Wunschlisten erstellt. Die Vorfreude war riesig und die Aufregung an Heilig Abend gigantisch. Wie bei allen Kindern, drehte sie sich vornehmlich um die Geschenke. Doch unsere Eltern haben die Auspackexzesse ein wenig kanalisiert. Wir durften an Heilig Abend nicht alle Geschenke aufreissen. Am 25. sollten wir auch noch etwas haben und sogar am 26. gab’s noch etwas Kleines, worauf wir uns freuen konnten, und es sollte Raum bleiben für die Besinnung, das Betrachten des Baumes und das Liedersingen. Mahalia Jacksons „Joshua fit the battle of Jericho…..“ wummerte zum Auftackt, am Weihnachtsbaum hing noch Lametta und Engelshaar und echte Kerzen brannten. Darunter stand die alte Krippe aus Vaters Kindertagen. Das Engelshaar klebte an meinen weissen Strümpfchen, die ich zum blauen Samtkleidchen trug und biss satanisch. Darum wurde dann irgendwann darauf verzichtet. Der Kerzenschein zauberte Sanftmut und diesen heiligen Schimmer auf unsere Gesichter und befriedete selbst die zänkischen Gemüter.
„Stiille Nacht, heilige Nacht, alles schläft, einsam wacht, nur das traute hochheilige Paar, holder Knabe in lockigem Haar…..“, „Süsser die Glocken nie klingen, als zu der Weihnachtszeit. S’ist als ob Engelein singen wieder von Friede und Freud.“
Manchmal begleitete Vater den Gesang am Klavier oder mit diesem Unikum von Harmonium, dem man nur Töne entlocken konnte, wenn man mit dem Fuss eine Pumpe trat, die Luft hineinpumpte, meine Schwester spielte Geige, ich Blockflöte. Die Weihnachtsmusik war Tradition. Die Tränen der Rührung in den Augen meiner Grosstanten und Grosseltern beim Singen der alten Lieder sprachen von Geschichten vergangener Zeiten, von Weihnachten, die sie verlebt hatten als sie selber noch Kinder waren, aus Tagen, als es mich noch nicht gab. Und in der Luft hing der Duft von Tannennadeln – so riecht es nur, wenn am Baum echte Kerzen brennen.
Vielleicht sollten wir Weihnachten wieder mit Kinderaugen betrachten. Vielleicht klappt es dann wieder mit der Besinnlichkeit. Vielleicht können wir dann endlich wieder die alten Lieder singen. Denn sie sind verstummt. Meine Generation schämt sich oder hat keine Lust mehr. Irgendwann ist meine Gross-Generation verstummt, gestorben und meine Kinder waren nur schwer zum Singen zu animieren ohne die alten Vorbilder. Ich habe es wirklich versucht, habe die schon antiken Klaviernoten hervorgeholt, habe die Lieder neu eingeübt, habe auf echte Kerzen am Baum bestanden und auf das Singen. Singen ist schön, ist befreiend, weihnächtlich, besinnlich. Doch irgendwann war es mir zu blöd, meine Familie dazu überreden zu müssen, der Zauber war verflogen, das Singen klang kläglich aus den lustlosen Kehlen und der Konsum raubte die Besinnlichkeit.
Meine Kinder wurden gross. Als Halbwüchsige bekam dann jeder seine Nötli im Couvert, sodass man sich die Wünsche selber erfüllen konnte, die immer grössere Dimensionen annahmen. Singen war kein Thema mehr.
Champagner und Häppchen, keine echten Kerzen, die den geschenkeaufreissenden Enkeln zum Verhängnis werden könnten, alles abgesichert mit LED, die erst noch ewig brennen und kein Kerzen Auswechseln mehr erfordern. Sie brennen zuverlässig auch zum Festschmaus, beim Anstossen mit dem vollmundigen edlen Roten und während den Diskussionen, die sich bis nach Mitternacht am Familientisch entspinnen. Die Enkel liegen dann schon lange in ihren Betten, selig,umringt von ihren Geschenken.
Leider können sie sich nicht nochmals nach oben schleichen, nochmals diesen Duft von Tannennadeln einatmen, wie ich das als Kind getan habe, in der Nacht nach Heilig Abend, und bedauern, dass dieses Fest schon wieder vorbei ist, der Glanz erloschen und die Lieder verklungen. Denn da oben sitzen wir Erwachsenen immer noch und reden und trinken und reden und konsumieren. Die Besinnlichkeit haben wir schon mit dem Champagnerapéro hinuntergespült.
Geschenke machen wir Erwachsenen uns keine mehr. Schliesslich ist das Budget Ende Jahr schon genug strapaziert und der ganze Einkaufsstress so vermeidbar. Kein Konsum, kein Stress. Keine Kerzen, keine Gefahr. Keine Lieder, keine Peinlichkeiten.
Wo ist nur Weihnachten?