Ablösung ist zeitintensiv

Bald ist das Jahr vorbei und ich bin einmal mehr unzufrieden mit dem Output. Das ist jetzt viel zu vereinfacht ausgedrückt und darum versuche ich mich diesem Thema, das mich immer wieder unzufrieden zurücklässt schreibenderweise zu nähern.

Obwohl ich die einmalige Chance habe, zuhause zu arbeiten, zu schreiben, Kurse zu planen und mich so ganz meiner Kreativität zu widmen, werde ich täglich abgelenkt und widme mich stattdessen vor allem dem Haushalt, neuerdings und selbstgewählt dem Hund und vielfach meiner Tochter, die zwar nicht hier bei mir ist, nicht hier lebt, aber es doch auch aus der Distanz schafft, mich sowohl mental wie physisch auf Trab zu halten. Das kann und werde ich ihr keinesfalls zum Vorwurf machen. Das hat damit zu tun, dass sie speziell ist mit ihrem Down Syndrom und natürlich auch damit, dass sie oder wir uns noch voll im Prozess der Ablösung befinden.

Die neusten Ereignisse liegen nur ein paar Tage zurück und haben mich auf ganz neue Art und Weise durchgeschüttelt und zudem schon wieder Stunden mit Austausch-Telefonaten  gefressen.

Letzten Donnerstag hat Annina im Kiosk am Stadelhofen ein Redbull gestohlen. Gestohlen!? Eigentlich hat sie meistens Geld dabei, damit sie sich etwas kaufen kann. Wieder einmal kann ich nicht nachvollziehen, wie sie auf die Idee kommt sich einfach nehmen zu dürfen, worauf sie Lust hat, ohne zu zahlen. Wie mir ihre Betreuerin meldete – und dies natürlich gerade als ich in strömendem Regen einen Parkplatz suchte, weil ich nach langem wieder einmal eine Verabredung in der Stadt hatte – war das Schuldbewusstsein schon vorhanden, denn Annina wollte mir ihr Erlebnis nicht erzählen, aus Angst vor Schimpfen und Gefängnis!

Mit geschicktem Fragen konnte ich dann ein „Geständnis“ erwirken, während meine Freundin, mit der ich mich verabredet hatte im Regen stand und auf mich wartete.

In erster Instanz hat mich nicht dieser Diebstahl schockiert, obwohl ich diesbezüglich schon als Kind sehr, sehr aufrecht, ehrlich und moralisch unterwegs war und noch nie etwas geklaut habe, nein, es war die Meldung dass diese Kioskfrau mein Mädchen geohrfeigt hat. Man stelle sich das vor! Ungeheuerlich! Scheinbar hat ein Passant alles beobachtet und dann die Polizei gerufen. Viel mehr weiss ich bis jetzt nicht, trotz diverser Telefonate mit der Polizei. Der zuständige Polizist, Herr Hauri sei erst am Montag wieder da, dies nachdem ich mit dem falschen Herr Hauri verbunden worden bin. Gestern war er dann krank, der richtige Herr Hauri und jetzt muss ich darauf warten, dass er wieder gesund ist und mich dann anruft um mir endlich zu berichten, wie es wirklich war.

Anninas Betreuungsperson hat es derweil beim Kiosk probiert. Ein Herr nahm ab, der als Beweis Videoaufnahmen hat, nach denen Annina schon mehrfach so einiges eingepackt haben soll. Ich frage mich natürlich, warum die sie nicht schon lange gestoppt haben. Die Tätlichkeit bleibt im Raum und ist nicht entschuldbar. Was ist zu tun? Ich muss wohl Anzeige erstatten. Wann? Wo? Wie? Es sind vier Tage vergangen und ich weiss, trotz der investierten Stunden nicht mehr, wie am Anfang.

Annina hat den Vorfall schon beinahe vergessen, obwohl auch sie die Konsequenzen noch zu spüren bekommen sollte – die für den Diebstahl. Geht ja gar nicht. Aber Schläge dafür geht noch viel weniger. Wo gibt es denn so etwas noch? Wie, bitte, sollen hier jetzt sinnvolle Massnahmen aussehen?

Das Rad dreht sich weiter um dieselben Themen, wie viel Schutz, wie viel Aufsicht, wie viel Kontrolle ist möglich und nötig und wo bleibt die Selbstbestimmung? Andere Jugendliche klauen auch – alles noch im grünen Bereich? Kriegt sie deswegen eine Anzeige? Ist sie schuldfähig?

Während ich noch an diesen Themen herumdenke, anstatt an meinen Projekten arbeiten zu können, tut sich schon das nächste Problemfeld auf. Meine Tochter lässt nichts anbrennen und versucht sich aufs Neue im Netz. Plötzlich sind da ständig SMS, die auf ihrem Handy eingehen. Wenn wir fragen, warum es fortwährend „dring!“ macht, steckt sie ihr Iphone schnell ein und murmelt abweisend:“Das ist privat!“ Sie hat ja eigentlich Recht und wir vergessen die Sache wieder. Leider, denn wie Anninas Vater am Wochenende darauf herausfindet, kosten diese „privaten“, zum Teil anzüglichen Nachrichten fünfzehn Franken pro Minute und scheinen dringend überwachungswürdig, besser gesagt, da müssen wir jetzt wohl einschreiten, löschen, sperren, schützen. Der Vater meint: „Das wird Dich wohl teuer zu stehen kommen!“ Wieso mich?

Ich hoffe, sie ist auch hier nicht schuldfähig und versuche ihre Beständin anzurufen um mich über mögliche Schritte zu informieren. Sie ist in einer Sitzung. ….. und die Zeit vergeht. Ablösung ist zeitintensiv.

Bald ist dieses Jahr zu Ende und meine Projekte bleiben unvollendet.