Eine Frage der Haltung

Als ich meine Tochter mit Down Syndrom vor bald 23 Jahren geboren hatte, war meine wichtigste und einzige Vision mit ihr ein möglichst „normales“ Leben zu führen. Damals hiess das für mich, dass ich meine Vorstellung von Familienleben und wie ich mein Leben führen möchte, nicht aufgeben wollte. 

Natürlich hat das Leben meine anfänglichen Ideen schon lange über den Haufen geworfen und vieles revidiert. Nichts desto Trotz bin ich der Überzeugung, dass der Weg, den ich mit meinem speziellen Kind gegangen bin und immer noch gehe, geprägt ist durch die Haltung die ich als Mutter einnehme.

Ich möchte noch weiter gehen und behaupten, dass es im menschlichen Miteinander und gerade im Umgang mit Kindern, von tragender Bedeutung ist, welche Haltung wir einnehmen, denn sie lenkt Denken und Handeln und leuchtet nach aussen. Unsere Einstellung umhüllt uns wie ein Licht, dass unser Tun färbt.

Ich wollte möglichst keinen Unterschied machen zwischen meinen normal begabten Jungs und ihrer Schwester, nur den, jeden von ihnen entsprechend seiner eigenen Wesenszüge zu behandeln.

Das ist mir manchmal gelungen, glaube ich. Warum ich das weiss? Ich habe mich nie anders gefühlt als andere Mütter, nicht behindert wegen meiner Tochter. Ich bemerkte selten komische Blicke und hörte kaum blöde Bemerkungen, noch wurden mir seltsame Ratschläge unterbreitet. So meine ich. Allenfalls habe ich es eben überhört. Meine Wahrnehmung ist meine Wahrheit. Sie wurde geprägt durch meine Haltung. Und meine Söhne? Die wollten nie einen Vortrag für Geschwister von behinderten Menschen besuchen. Kein Bedarf! 

Was mich aber im Nachhinein verletzt und meine gar nicht so dicke Haut durchdringt, ist die Annahme, dass ich es ja immer total einfach hatte. Man weiss ja, Kinder mit Down Syndrom sind Sonnenkinder und der Jö-Effekt ist einem gewiss. Da ist alles viel leichter, als wenn man es mit anderen Beeinträchtigungen zu tun hat. 

Genau, darum werden ja die meisten von ihnen abgetrieben! 

Aber lassen wir den Zynismus beiseite. Ich finde meine Tochter grossartig. Trotzdem sind die Herausforderungen, die ihre Begleitung an mich stellt, gross.

Beisst sich da meine Haltungskatze in den Schwanz? Selber Schuld, weil ich vielleicht Leichtigkeit ausstrahle? 

Möglich. Trotzdem ist es ungerecht, mir meinen Einsatz und meine Leistung als Mutter, die ich dreiundzwanzig Jahre für dieses Kind erbracht habe und es weiterhin tue, zu schmälern oder gar abzusprechen, wie neulich passiert.

Das habe ich nicht verdient, denn so einfach war es dann doch nicht. 

Ich werde jetzt nicht aufzählen, was alles viel schwieriger als „normal“ war. Das musste ich jeweils tun um von der Invalidenversicherung genug Pflegebeiträge zu bekommen. Jedes Mal wurde mir dabei bewusst, dass alles, was ich da „übertrieben“ betont aufzählte eigentlich stimmte. Aber meine Haltung verbot es mir meinen Fokus darauf zu legen. Das ist in jedem Fall hilfreich, nicht aber seine Augen vor den Schwierigkeiten zu verschliessen, schon gar nicht, wenn sie andere schönreden wollen. Das tue ich selber, wenn ich es für angebracht halte!

Das Bestreben möglichst integrierende, ressourcenoriertierte Möglichkeiten für unsere Kinder und Angehörigen zu erarbeiten damit sie ein selbstbestimmtes würdevolles Leben führen können, benötigt unsere Klarheit, Ehrlichkeit mit sich und dem Umfeld, auch mal einen Wechsel der Perspektive, eine Menge Selbstreflexion, manchmal Loslassen und immer auch dass man bei sich bleibt und sich nicht vergisst. Es ist gut dabei auf die Unterstützung seines Umfelds zählen zu können, denn es ist in jedem Fall eine Herausforderung….. und eine Frage der Haltung!

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