Ich kann ihr keinen passenden Mann bieten

Heute ist meine Tochter mit ihrer Wohngruppe in ein Ferienlager ins Val Müstair gefahren. Sie hat mir eine SMS geschrieben: „Mami ich fröien uf dich am Freitag.“ Ich freue mich auch, denn ich habe sie schon drei Wochen lang nicht gesehen. Ok, letzten Samstag habe ich ihr die Wanderschuhe gebracht, aber das zählt nicht so richtig. Eine lange Zeit, vor allem weil ich ihr gegenüber immer noch ein wenig an diesem Muttergefühl festhalte. Als ob sie noch ein Kind wäre! Ich tröste mich damit über die Loslösung meiner Söhne hinweg, meine dass mir meine Tochter mit Down Syndrom ja immer irgendwie als Kind erhalten bleibt, dass sie meine Nähe braucht und meine Unterstützung. Doch heute zweifle ich daran, denn darin liegt auch eine Gefahr.

Instrumentalisiere ich sie um meine eigenen Trennungsschmerzen einzusalben und abzuschwächen oder sie wenigstens hinauszuzögern? Letzte Woche berichtete mir ihre Bezugsperson über ihre Traurigkeit, weil sie noch keinen Freund hat. Es löste in mir Bestürzung darüber aus, das ich in solchen Momenten nicht mehr bei meiner Tochter sein kann, sie nicht in den Arm nehmen kann wenn sie traurig ist und weinen muss und den Reflex mit wehenden Fahnen zu ihr zu eilen oder sie gar aus ihrer Wohngruppe zu nehmen, nach Hause zu mir, zu Mama, die sie immer trösten möchte, wenn sie traurig ist. Ob ich das überhaupt wirklich kann – darüber habe ich in diesem Moment nicht nachgedacht. Dieses Ansinnen ist mütterlich und auch rührend. Aber ich musste mir eingestehen, dass meine Tochter mit ihrer noch jungen Betreuerin wohl sogar besser beraten ist. Meine Ratschläge und lieb gemeinten Ansagen haben doch immer diesen bemutternden Aspekt, den selbst meine Tochter herauszuspüren scheint. Sie will dann nicht hören, sagt: „Isch scho guet Mami.“ oder einfach nur „Ja – okee.“ Ich bin ihr wohl diesbezüglich kein Vorbild, eine andere Generation, zu alt.

Sie braucht greifbare Vorbilder, die ihr vorleben wie es geht, sodass sie es verstehen kann. Meine Ausführungen wie: „Akzeptiere Dich so wie Du bist. Du bist speziell und so ein toller Mensch. Es gibt sicher auch so liebe Typen, die zu Dir passen. Mach nur die Augen auf und schau nicht immer nur auf Stars wie Luca Hänni“, prallen an ihr ab. Sobald der Name ihres Idols fällt, setzt der Verstand aus und ich habe verloren. Ich muss einsehen, dass ich mit meinen gut gemeinten Inputs nichts bei ihr bewegen kann. Oder hölt der stete Tropfen ohne dass ich es bemerke? Wie auch immer! Liebe und Akzeptanz kann ich ihr bieten, einen passenden Mann nicht.

Letzten Samstag war sie in der Disco – mitten im Vergnügungsviertel Zürichs. Sie ist schon früher in die Stadt gefahren, hat dort in einem Mc Donald etwas gegessen – allein – und ist dann in die Laborbar gegangen, wo die Laviva-Disco einmal im Monat stattfindet,  mit dem Tram quer durch die Stadt – auch dass alleine.

Sie ist erwachsen und erkämpft sich ihre Freiheiten und Räume. Ich bin sehr stolz auf sie und muss mir eingestehen, dass ich mich in ihrem Alter nicht getraut hätte ohne eine Freundin auszugehen.

Mein „ich bin das liebe Mameli und beschütze Dich vor allem Bösen“ ist wohl nicht mehr angebracht und nährt nur meine Sentimentalität. …. und so komme ich wieder auf Kurs und begleite meine spezielle Tochter auf ihrem Weg in ein möglichst unabhängiges Leben. Sie wählt die Richtung selber.

Und das mit der Liebe und dem Freund wird eines Tages sicher auch klappen.